Sonntag, 30. August 2015

DER LETZTE WERWOLF von Brigitte Endres



Klappentext:
Jäh werden Valentina und Phil in verstörende Ereignisse geworfen. Als sich ihr kleiner Hund in die Gruft des alten Adelsgeschlechts derer von Treuenstein verirrt, stoßen sie auf einen Sarkophag, der von der Skulptur eines wolfsähnlichen Hundes bewacht wird. Valentina entziffert die rätselhafte Grabinschrift. Zu ihrem großen Entsetzen, erwacht der weiße Marmor-Hund dabei zum Leben, und folgt den Geschwister nach Hause. Doch nicht genug damit! Am anderen Morgen finden sie statt eines Hundes einen verwirrten jungen Mann wieder, der sich nur mit Mühe an seinen Namen erinnert – Dorian. Dass der schöne Dorian aus einem anderen Jahrhundert stammen muss, bemerken die beiden bald an seiner altertümlichen Weise zu sprechen. Doch alles, was auf seine Herkunft hinweist, ist ein Amulett: eine Lilie mit zwei Halbmonden. Da Dorian sein Erinnerungsvermögen eingebüßt hat, machen es sich Valentina und Phil zur Aufgabe, das Rätsel zu lösen. Dabei stoßen sie auf eine düstere Familiengeschichte um Liebe, Tod, Schuld und Vergeltung.

Ein fesselndes Abenteuer um einen alten Familienfluch und die Kraft der Liebe.

Link zum E-Buch:
Das Buch erschien in der Erstauflage im Herder-Verlag und ist bereits vergriffen. Jetzt ist es als Kindle-Ebook wieder zu haben.

Leseprobe:
(Die Geschwister sind auf der Suche nach Herrn Bozzi, ihrem kleinen Hund, der sich beim Abendspaziergang im alten Schlosspark in einem kleinen Diana-Tempel verirrt hat.)

 „Hör mal! Warum hallt das so komisch?“, sagte Valentina, während sie mit spitzen Fingern Kletten von der klammen Jeans zupfte. „Irgendwie klingt es, als käme es aus einem Loch.“
Gemeinsam umrundeten sie das Bauwerk. Phil ging voraus und leuchtete sorgfältig den Sockel ab. „Sieh nur!“
Seine Schwester folgte dem Lichtschein zu einem Schacht, dessen verrostetes Gitter durchgebrochen war.
„Herr Bozzi?“ Valentinas Ruf wurde mit jämmerlichem Gejaule beantwortet. Sie stöhnte. „Shit! Er muss durch den Rost gefallen sein! Wie kriegen wir ihn da bloß wieder raus?“
„Dieser Hund ist eine einzige Landplage!“ Phil starrte düster auf die wenig einladende schwarze Öffnung im Boden, aus der modrige Luft nach oben quoll. „Von uns passt da keiner durch!“
Valentina zog ihren Bruder am Ärmel. „Komm mit, vielleicht lässt sich die Tür ja irgendwie öffnen!“
Phil stapfte ihr verdrossen nach. „Das glaubst du ja wohl selbst nicht.“
Wie zu erwarten, war die eisenbeschlagene Eichentür fest verrammelt. Soviel sie auch am Türgriff rüttelten, das Schloss hielt stand.
„Und jetzt?“ Valentina war den Tränen nah. „Hör doch nur!“
Herr Bozzi heulte in den höchsten Tönen.
Phil ließ den Strahl der Taschenlampe über die Wand streichen. „Es muss doch jemanden geben, der den Schlüssel hat. Vielleicht hängt irgendwo ein Schild mit einer Telefonnummer. – Du hast doch dein Handy dabei?“
Valentina nickte.
Tatsächlich fanden sie neben dem Eingang ein verrostetes Schild, dessen verwitterte Buchstaben kaum noch lesbar waren.
„Besichtigung derzeit wegen Baumängeln nicht möglich“, entzifferte Phil.
Valentina deutete auf den Querbalken des marmornen Türstocks. „Da steht noch was.“
„Irgendeine Inschrift“, sagte Phil. „Sicher nicht die Nummer der Schlossverwaltung.“ Der Lichtschein huschte weiter suchend über die Fassade.
„Warte!“ Valentina kniff die Augen zusammen. „Mensch, halt doch mal die verdammte Lampe ruhig!“
Phil tat, wie ihm befohlen, und starrte ebenfalls nach oben. „Sa…, salvete fortu-nae fi…, fil…, filii.“
Salvete fortunae filii“, wiederholte Valentina, die ein Jahr länger Latein hatte als ihr Bruder. „Das heißt: Willkommen Kinder des Glücks!“
Phil trat wütend gegen das Türblatt.
„Wie passend! Wenn wir nur willkommen wären.“
Fast gleichzeitig ertönte ein knarzendes Geräusch, so, als schöbe jemand einen Riegel zurück. Die Geschwister wichen zurück. Mit einem Donnerschlag sprang die schwere Tür auf.
„Wow!“ Phil fuhr sich durch die Haare. „Hab ich so fest dagegengetreten?“
„Ich …“ Valentina war kreidebleich. „Ich weiß nicht.“
„Egal, Hauptsache, wir kommen rein.“ Phil machte einen zögernden Schritt vorwärts. Steinern feuchte Luft umfing ihn. „Herr Bozzi?“ Seine bebende Stimme klang seltsam hohl.
Valentina kam ihrem Bruder auf weichen Knien nach. Beklommen standen sie in einer kleinen Halle, die, soweit sie sehen konnten, vollständig mit einem Mosaik aus bröckelnden Muscheln und Glasteilchen ausgekleidet war. Phil ließ die Taschenlampe kreisen. Dann blieb der Lichtkegel an der Decke hängen. Wie in Beton gegossen starrten sie nach oben. Im Zentrum prangte in spiegelnden silbernen Mosaiksteinchen …
„Das Symbol“, stieß Valentina aus.
„Die Mondlilie“, flüsterte Phil.
Dann schwiegen sie, aufgewühlt, verirrt in wirbelnden Gedanken, bis Valentina mit brechender Stimme sagte: „Was, was bedeutet das? Warum verfolgt mich dieses Zeichen?“
„Dich? – Nicht nur dich. Gestern Nacht …“
„Du hast es auch gesehen?“ Valentina rang um Atem. „Dieser Blitz, das Feuerwerk …“
„Also war es doch real!“, murmelte Phil.
„Real?“ Seine Schwester zog fröstelnd die Jacke um sich.
Herrn Bozzis Jaulen drang wieder zu ihnen durch und erinnerte sie an den Zweck ihres Hierseins.
Phil leuchtete auf eine Öffnung im Boden, Stufen führten in die Tiefe.
„Da runter?“ Valentina schnürte sich die Kehle zusammen.
„Komm, Herr Bozzi!“, rief Phil in die Gruft. „Wir sind hier.“
Valentina spähte ahnungsvoll in den schwarzen Abgrund. „Warum ist er nicht schon längst hochgelaufen?“
„Vielleicht hat er sich verletzt. Warte, ich geh und hol ihn!“
„Du lässt mich doch nicht etwa ohne Lampe hier stehen?“ Die Kiefer zusammengebissen, dass es schmerzte, folgte Valentina ihrem Bruder, der bereits die ersten Stufen in das ungewisse Dunkel genommen hatte.
Die Gruft, die das eigentliche Grab ausmachte, war nicht sehr hoch, doch hoch genug, dass man eben stehen konnte.
„Ein eigenartiges Grab“, raunte Phil. Mit scheuer Neugier betrachtete er den weißen Sarkophag in der Mitte des Raums, auf dem die lebensgroße Marmorskulptur eines Hundes ruhte.
Herr Bozzi stand auf den Hinterbeinen und leckte dem Steinhund winselnd die Pfoten.
Valentina atmete auf, als sie Isoldes Liebling offenbar unversehrt vorfand. „Herr Bozzi wird immer neurotischer, man könnte meinen, er hält den Steinhund für echt“, sagte sie und nahm ihn auf den Arm.
Phil leuchtete den marmornen Sarg ab. „Und da drin liegt also Amalia von Treuenstein.“
„Hör auf, das ist gruslig! Komm, wir geh'n!“
Aber Phil hatte eine Entdeckung gemacht. „Valentina, auf der Grabplatte steht was! Hör mal! – Nun Zeit …“ Er stockte.
Valentina setzte Herrn Bozzi, der sich auf ihrem Arm wie ein Aal schlängelte, ab und wandte sich der in die Grabplatte eingemeißelten Inschrift zu. „Nunc tempus faciendi, nunc tempus pugnandi“, las sie. „Jetzt ist Zeit zu handeln, jetzt ist Zeit zu kämpfen“, übersetzte sie mühelos.
Sie hatte kaum ausgesprochen, als etwas geschah, das sich für immer in ihre Erinnerung einbrannte.
Im Schein der Taschenlampe, den der weiße Marmor hell reflektierte, beobachteten sie fassungslos, wie die Skulptur allmählich ihre Stofflichkeit veränderte, wie dem Tier ein weißes Fell spross, wie es von Sekunde zu Sekunde mehr zum Leben erwachte, bis schließlich ein großer schneeweißer Hund vor ihnen lag, der – soweit sie sehen konnten – einem Husky ähnelte. Valentina zuckte zurück, als das Tier sich mit einem Mal streckte, gähnte und schwerfällig erhob.
Stumm zog Phil seine Schwester ein Stück zurück.
Jede Sehne gespannt, mit hoch aufgerichteten Ohren, hatte Herr Bozzi die Verwandlung verfolgt. Anders als seine menschlichen Freunde schien er nicht die geringste Furcht vor dem geheimnisvollen Artgenossen zu haben. Er begrüßte sein Erwachen schwanzwedelnd. Und als der große weiße Hund mit einem steifen Satz von der Grabplatte sprang, überschlug er sich fast vor Freude.
Valentina warf Phil einen verstörten Blick zu. „Allmählich zweifle ich an meinem Verstand“, sagte sie tonlos. „Ich könnte schwören, dass der Hund vorhin noch aus Stein war.“
Phil, der kein Auge von dem weißen Hund ließ, fuhr sich in einer ratlosen Geste durchs Haar. „Quatsch. Das ist unmöglich. Wahrscheinlich eine optische Täuschung. Es muss an dem schlechten Licht gelegen haben. Herr Bozzi hat ihn doch gewittert. Sicher hat ihn jemand hier eingesperrt.“
„Was für eine gemeine Tierquälerei!“ Valentina atmete auf. Phils fadenscheinige Deutung war wenigstens halbwegs plausibel. Dann holte sie tief Luft. „Ich will jetzt hier raus. Und zwar sofort!“
„Und der weiße Hund?“
„Der kommt mit. Wir können ihn doch nicht hier zurücklassen.“ Valentina bewegte sich langsam auf das Tier zu. Der Hund blickte sie aus hellblauen Augen verwundert an. Ein heiß-kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
„Gefährlich scheint er jedenfalls nicht zu sein“, sagte Phil erleichtert. „Und Herr Bozzi mag ihn. Morgen bringen wir ihn ins Tierheim.


Vita:
Brigitte Endres hat Grundschulpädagogik, Germanistik und Geschichte studiert. Heute arbeitet sie als Kinderbuchautorin für Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie für den Bayerischen Rundfunk. Ihre Bücher wurden in viele verschiedene Sprachen übersetzt.  www.brigitte-endres.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.