Sonntag, 28. April 2019

Die Erben der Hexenschülerin: LUZIA von Rotraud Falke-Held



Klappentext:

Die sechzehnjährige Luzia Spengler lebt Ende des 15. Jahrhundert in Paderborn. Seit sie im Alter von 13 Jahren von ihrer Ahnin Clara und deren gefährlichem und ungewöhnlichem Leben erfahren hat, träumt sie davon, eines Tages nach Würzburg zu reisen und auch die Burg Wiesenstein zu besuchen, wo Clara eine Weile gelebt hat.
Doch zunächst verläuft ihr Leben in anderen Bahnen. Nach einem Unfall, bei dem sie ihr Gedächtnis verliert, schließt sie sich einer Gruppe Zigeunern an und reist mit ihnen durch das Land.
Die Reise der Zigeuner endet in Würzburg, wo Luzia das Mädchen Madlen kennen lernt und gemeinsam mit ihr dem Verschwinden deren Mutter nachgeht. Eine Katastrophe bahnt sich an…
Die Geschichte von Luzia, einer Nachfahrin der Hexenschülerin, ist spannend und voller Wendungen. Sie ist geeignet für Jugendliche ab etwa 12 Jahren und für Er-wachsene, die gerne in vergangene Welten eintauchen.

Erhältlich bei www.rotraud-falke-held.de, BoD,  Amazon, bücher.de und Hugendubel


Leseprobe aus Kapitel 3: Elsbeth

….
Die Druckerei war nicht allzu weit vom Marktplatz entfernt. Sie waren noch nicht weit gegangen, als sie Stimmen hörten. Es klang, als hätten sich viele Menschen versammelt. Wie beim Markttag, aber der war ja nicht spät abends. Oder wie bei Vorführungen von Gauklern oder einer Theatergruppe. Doch davon wüsste Luzia.
Und dann sahen sie in den dämmrigen Straßen der Stadt durch die Häuserreihen hindurch einen Lichtschein schimmern.
Auch bei den Ablasspredigern waren viele Menschen versammelt, dachte Luzia plötzlich und die Panik kroch sofort wieder in ihr hoch, als sie sich daran erinnerte.
„Was ist da los?“, fragte sie leise. Luzia wusste instinktiv, dass das kein gutes Zeichen war. Es war gruselig und unheimlich.
Auch Georg spürte es. Ihm war nicht wohl. Und er fühlte sich verantwortlich für das junge Mädchen.
„Lass uns nach Hause gehen!“, sagte er entschieden.
„Bist du verrückt? Ich will wissen, was da los ist.“
„Das kann gefährlich sein, Luzia. Deine Mutter würde nicht wollen, dass du dich in Gefahr begibst.“
„Wir leben in gefährlichen Zeiten“, antwortete sie wesentlich muti­ger als sie sich fühlte. Aber ein Zurück kam für sie nicht in­frage. „Wir halten uns einfach im Hintergrund.“
„Luzia, deine Eltern bringen mich um, wenn dir etwas passiert. Ich bin älter. Und – und ich bin der Mann.“
Das Argument erregte Luzias Unmut. Die Herrschaft der Männer war dem Mädchen sowieso ein Dorn im Auge, auch wenn ihr abso­lut bewusst war, dass so nun einmal die gottgewollte Ordnung war. Oder – besser gesagt, die herrschende Ordnung. Wer konnte schon wirklich wissen, was Gott selbst wollte.
Sie bekreuzigte sich und Georg nahm an, dass es wegen der unheim­lichen Vorgänge in ihrer unmittelbaren Nähe war. Aber in Wirklichkeit tat sie es wegen ihrer eigenen frevelhaften Gedanken, die sie viel zu oft nicht unter Kontrolle hatte. Seit sie die Tage­bücher ihrer Ahnin gelesen hatte, war es sogar noch schlimmer geworden. Auch Clara war ja eine Frevlerin gewesen.
Langsam setzte Luzia sich in Bewegung in Richtung des flackernden Lichtscheins und der Stimmen. Georg folgte ihr wohl oder übel.
Endlich sahen sie es: Eine Menschenmenge, die auf dem Markt­platz versammelt war. Fackeln, die den Platz und die Versamm­lung erhellten. Ihr Flackern warf unruhiges Licht auf die Mauern der Häuser und tauchte den ganzen Platz in ein gespenstisches Licht.
„Was ist hier nur los?“, fragte Luzia wieder.
Georg umfasste automatisch ihre Schultern. Er hatte das Gefühl sie beschützen zu müssen.
Meine Güte, sie hatten doch nur nachsehen wollen, wo der Vater und die Brüder blieben. Wo waren sie jetzt hineingeraten? Hier stimmte etwas nicht. Das war keine friedliche Prozession oder Versammlung.
„Was geht hier vor?“, fragte er einen Passanten.
„Das weißt du nicht? Diese beiden Wanderprediger haben eine Hexe ausfindig gemacht. Aber wer das ist, weiß noch niemand. Wir sind hier, um sie zu sehen.“
„Eine Hexe?“
Der Mann nickte.
Luzia war wie erstarrt. Die Wanderprediger hatten eine Hexe aus­findig gemacht? Oh mein Gott. Die Panik breitete sich in ihr aus. Sie fühlte, wie sie ihren Rücken hinaufkletterte und sich ihres ganzen Körpers bemächtigte. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ihr Herz klopfte wild, ihre Haut kribbelte. Sie be­stand nur noch aus Panik. In ihrem Denken, Fühlen, sogar in ihren Gliedmaßen. Ihre Beine waren schwer und gehorchten ihr beinahe nicht mehr. Aber nur beinahe. In Wirklichkeit bewegte sie sich schwerfällig weiter.
Und dann kamen sie. Eine kleine Prozession, angeführt von den beiden Wanderpredigern. Luzia erkannte sie sofort. Pater Laurentius schritt stolz und erhaben daher, sein junger Schüler Clewin wirkte dagegen etwas unsicher. Hinter ihnen fuhr ein Karren und darauf hing in ihren Armfesseln eine alte Frau. Sie war erschöpft. Strähnige, graue Haare hingen über ihren Rücken und über ihrem Gesicht. Sie schien kaum etwas wahrzunehmen.
„Neiiiin!“, schrie Luzia.
„Sei still“, zischte Georg.
„Aber das ist Elsbeth, die Heilerin! Eine harmlose alte Frau, die nichts anderes tut, als Kräuter zu mixen, um Wunden oder Kopf­schmerzen zu heilen.“
Sie wollte nach vorne stürmen, aber Georg hielt sie fest.
„Wir müssen doch etwas tun.“
„Wir können nichts tun“, erwiderte Georg hart.
Luzia wunderte sich über seine Härte. Dieser Mann sah so nett und sympathisch aus mit seinem hellen Haar und den strahlenden Augen. Wie konnte er nur so hart sein?
„Sie ist eine harmlose alte Frau“, versuchte sie es erneut.
„Sie ist dem Tode geweiht. Willst du auch sterben?“, fragte er.
Nein, das wollte sie nicht. Aber sie wollte auch nicht, dass Elsbeth starb, sie wollte nicht, dass sie gefoltert wurde, dass sie leiden musste.
„Lass uns gehen“, forderte er sie auf.
„Nein.“
„Was willst du hier?“
„Ich muss ihr helfen“, erwiderte Luzia vollkommen unvernünftig.
Wieder versuchte sie, loszustürmen. Gegen alle Vernunft. Aber Georg hielt sie fest. Sein Griff war hart, sie konnte sich nicht daraus befreien. Vollkommen widersinnig dachte sie, dass sie morgen sicher blaue Flecken haben würde.
„Elsbeth!“, schrie sie entsetzt - ebenso wie manche andere Men­schen um sie herum auch.



„Was tust du hier?“, fuhr sie plötzlich eine Stimme von der Seite an. Sie wusste nicht, wer es war. Sie hörte es kaum.
„Und wer bist du?“, fragte die Stimme ihren Begleiter.
Georg reagierte. „Mein Name ist Georg Gruner. Und wer seid ihr?“ Er schaute in die Runde der drei Männer.
„Ich bin Wolfram Spengler und das sind meine Söhne Stephan und Anton. Und das…“, er deutete mit der Hand auf Luzia, „…ist meine Tochter.“
„Gott sei Dank“, entfuhr es Georg in einem erleichterten Seufzer. Die Verantwortung für das Mädchen war ihm abgenommen. Nun konnte der Vater entscheiden.
„Ich komme aus Dringenberg mit Nachricht von eurer Nichte Gisela. Deine Frau hat sich Sorgen gemacht, weil ihr noch nicht zurück ward. Deshalb sind deine Tochter und ich losgezogen, nach euch zu sehen. Und wir sind mitten in dieses – dieses Spektakel geraten.“
„Es ist abstoßend“, erwiderte Wolfram. „Aber ja, auch wir sind hierher gekommen, als wir hörten, dass die Gefangennahme einer Hexe bevorsteht.“
„Aber – aber es ist Elsbeth“, heulte Luzia jetzt. Sie merkte überhaupt nicht, dass ihr inzwischen Tränen die Wange hinunterliefen.
„Ja, damit haben wir auch nicht gerechnet. Die arme alte Frau.“
„Arme alte Frau“, wiederholte Luzia leise. „Kann man wirklich nichts tun? Gar nichts? Sie hat doch nie jemandem etwas getan.“
„Wir können nichts tun. Außer, wir finden einen Weg, sie auf schmerzfreie Weise zu töten, damit sie nicht noch mehr leiden muss. Aber wer soll das wagen? Wenn man erwischt wird, wird man selbst gefoltert.“
„Was ist denn nur passiert?“
Luzia warf einen weiteren Blick auf den Karren. Elsbeth hing schlaff in den Fesseln. Sie war doch sowieso schon alt und schwach. Sie konnte sich schon gar nicht mehr selbst halten und schien das Bewusstsein verloren zu haben. Welche Menschen konnten ihr noch mehr Leid zufügen?
„Lass uns gehen“, entschied Wolfram und schob seine Tochter aus dem Trubel heraus. Georg folgte ihnen zusammen mit Anton und Stephan.


VITA:
Rotraud Falke-Held wurde 1964 in Bad Driburg geboren. Gemeinsam mit zwei Schwestern wuchs sie in Dringenberg auf. Schon als Kind entdeckte sie die Freude am Schreiben.
Doch zunächst absolvierte sie eine kaufmännische Ausbildung und kann auf eine 20jährige Berufstätigkeit zurückblicken.
Im Jahr 2009 erschien ihr erstes Kinderbuch.
Heute lebt Rotraud Falke-Held mit ihrer Familie und der Hundedame Cacy in Büren.
Mit der Trilogie „Die Hexenschülerin“ hat sich die Autorin den Traum erfüllt, eine Geschichte zu entwickeln, die zur Entstehung ihres Heimatdorfes Dringenberg spielt. Auch Luzias Weg aus „Die Erben…“ führt zumindest kurzfristig wieder nach Dringenberg.