Sonntag, 5. Juli 2015

„Total durchgeknallt, die Jungs!“ von Tina Zang



Klappentext:

Endlich 16!
In angesagte Clubs gehen, die Ferien in einer coolen WG verbringen, die erste Liebe genießen ... von wegen! Ehe Flora es sich versieht, werden ihre Pläne komplett durcheinandergewirbelt. Es kommt zu Missverständnissen und Eifersuchtsdramen. Die spinnen doch, die Jungs!
Bis auf einen: Yannick mit den schönen grünen Augen, an den Flore immer mehr ihr Herz verliert. Ob ihr Sommer noch zu retten ist?

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Leseprobe

Kapitel 1

Für mich ist jeder Tag ein guter Tag und manche Tage sind sogar noch besser. Erste Ferientage fallen in diese Kategorie, darum komme ich an diesem Sommermorgen pfeifend in die Küche geschlendert. Laut und schief pfeifend, wie ich gestehen muss, was mir eine erhobene Augenbraue von meiner Mutter einbringt.
Ich hebe ebenfalls eine Augenbraue und pfeife dabei weiter. Gar nicht einfach, so viel Feinmotorik am frühen Morgen. Ja, früher Morgen, trotz Ferien! Langschläfer verpassen die Hälfte des Lebens, und vor allem erwischen sie die Morgenzeitung nicht als erste. Vor drei Wochen habe ich angefangen, sie täglich zu studieren, bevor meine Mutter sie in die Finger bekommt, weil sie interessante Artikel ausschneidet und sammelt.
Ich beende mein Pfeifkonzert, um die Nerven von Tom, Todd und Tadeus zu schonen, die um den Tisch herumtapsen. Ich knuddle sie zur Begrüßung, gleite auf die Eckbank, schiebe Honigglas und Käseteller zur Seite, damit ich die Zeitung ausbreiten kann, und lese hochkonzentriert den Leitartikel. Ich habe eine Mission und wenn ich mir etwas vornehme, ziehe ich es eisern durch.
Mum, die darauf wartet, dass der Toast hüpft, fragt etwas, das ich nicht verstehe, weil ich nicht zuhören kann, während ich lese.
„Das Gesundheitssystem reformieren“, murmele ich. Dann sehe ich auf. „Wie war die Frage?“
„Was du heute vorhast.“
„Abschieds-Brunch bei den Verrückten, weil der Lange nach Madrid fliegt.“
Die Verrückten habe ich vor einem Jahr kennengelernt, als Mum, die bei einer Stuttgarter Hausverwaltungsgesellschaft arbeitet, ihnen eine WG-geeignete Fünfzimmerwohnung zeigte. Ich bin zu dem Besichtigungstermin mitgekommen, weil ich ein Referat über den Arbeitsalltag meiner Eltern schreiben sollte. Es wurde ein kurzes Referat, denn mehr Elternteile als Mum habe ich nicht vorzuweisen.
Ich fand die vier jungen Männer, die zur Besichtigung kamen, auf Anhieb super lieb. Sie waren alle ein bisschen durchgeknallt, aber auf sehr nette und spannende Art. Auch Mum war von ihnen angetan, weil sie in ganzen Sätzen redeten und gut rochen. Damit stachen sie aus allen Interessenten heraus und bekamen den Zuschlag für die Wohnung. Allerdings fand Mum sie auch etwas unkonventionell, wie sie es ausdrückte. Inzwischen wurde aus „die etwas unkonventionellen jungen Herren“ kurz und knapp „die Verrückten“.
Einer von ihnen, Lasko, von allen nur der Lange genannt – er misst stolze 1,58 m und ist damit einen halben Kopf kleiner als ich – wird ein Auslandssemester in Spanien verbringen und reist heute ab.
Ich vertiefe mich wieder in die Tagespolitik. Nach drei Seiten ist mein Wissenshunger gestillt und ich lese die nächste Seite nebenher, während ich die Toastscheibe buttere, die Mum mir auf den Teller gelegt hat. Wieder erreichen mich Satzfetzen.
Ich blicke auf. „Entschuldige, was hast du gesagt?“ Ich weiß, das klingt übertrieben höflich, aber das hängt alles mit meiner Mission zusammen.

Meine Mission
Ich will die Sommerferien bei den Verrückten verbringen, da das Zimmer des Langen frei wird. In der WG ist es schrill, wild und lustig. Absolutes Kontrastprogramm zu hier. Bei uns ist alles spießig, langweilig und beige, vom Teppichboden bis zur Kloschüssel. Ich kleide mich stets sehr bunt, um meine reizarme Umgebung zu kompensieren.
Ferien in der WG wären das Paradies. Nicht mehr wegen jedem Quatsch um Erlaubnis fragen! Weit weg von den sinnlosen Ermahnungen einer krankhaften Pedantin, sprich: meiner Mutter! Yessss!!!
Bevor ich sie um Erlaubnis bitte, will ich ihr zeigen, dass ich alle Pubertätsflausen hinter mir gelassen habe und erwachsen, verantwortungsbewusst und zuverlässig genug bin, um für eine Weile daheim auszuziehen. Bildung und gutes Benehmen sind dabei die Kernkompetenzen, mit denen ich sie beeindrucken werde.

„Ich sagte, du hast die Butter unregelmäßig geschmiert.“
Ich halte die Toastscheibe auf Augenhöhe. Die Butter liegt wie Wellblech darauf. „Das ist die neueste Diätsensation aus Hollywood. Mach es wie die Stars. Verliere 7 Pfund in 7 Stunden mit der Bite-by-Bite-Methode!
Mum seufzt, wie so oft, wenn Humor gefordert ist. Ach, wie ich daheim meine Talente verschwende! Ich sprühe vor Esprit – und ernte nur seltsame Blicke und skeptische Bemerkungen. Bei den Verrückten wäre sofort eine Nonsensdiskussion in Gang gekommen.
Julius würde mir beipflichten. „Aber natürlich, dass da noch nicht früher jemand draufgekommen ist. Mal viel, mal wenig Fett, bei jedem Bissen eine andere Menge. Das bringt den Stoffwechsel in Schwung.“
Vally würde mir das Brot wegnehmen und sage, dass ich dünn genug wäre, darum müsse er sich opfern und an meiner Stelle die Diät machen.
Und was bekomme ich hier? Eine geballte Ladung Besorgnis wegen so einer Nichtigkeit. Aber ich fange mich schnell, streiche die Butter glatt und lasse den Honig in gleichmäßigen Streifen vom Löffel laufen.
Mum ist schon beim nächsten Tagesordnungspunkt. „Wie lange dauert denn das Brunch?“
Ha, mein Stichwort! „Es heißt der Brunch“, sage ich und freue mich tierisch, etwas von dem Wissen auspacken zu können, das ich in letzter Zeit gesammelt habe. „Brunch ist ein so genanntes Kofferwort, also ein Kunstwort aus Segmenten, die zu einem neuen Wort verschmolzen sind. Genau wie Smog, Motel und Bollywood.“
Mum lächelt und streichelt mir über den Kopf, eine Geste, die sonst den drei T’s vorbehalten ist. „Was du alles weißt.“
„Je mehr man weiß, desto besser findet man sich in der Welt zurecht.“ Hey, das ist so ziemlich das Erwachsenste, was ich je gesagt habe und es ist mir spontan eingefallen. „Wieso willst du wissen, wann ich zurück bin?“
„Weil ich dich brauche. Also, deine Hilfe. Weil … ich treffe mich abends mit jemandem und … will einigermaßen nett aussehen.“
Sie stammelt! Wahnsinn. Es ist so weit. Sie hat einen Mann kennengelernt. Heureka, hossa und hurray!
Als ich noch klein war, hatte ich Angst davor, Mum könnte einen Mann anschleppen. Ich wollte keinen Fremden im Haus haben, und schon gar keinen Stiefvater. Hin und wieder tauchte einer auf, aber alle tauchten auch schnell wieder ab, vertrieben von den seltsamen Anwandlungen meiner Mutter. Ich meine, welcher Mann will sich vorschreiben lassen, dass er die Gurkenscheiben auf einem Leberwurstbrot in Reih und Glied anordnen soll?
In letzter Zeit hat sich meine Einstellung geändert. Jetzt finde ich, dass Mum dringend einen Partner bräuchte, damit sie nicht mehr so auf mich fixiert ist.
Hoffnungsfroh frage ich: „Hast du ein Date?“
„Ähm, ja. Ich hoffe, das ist okay für dich.“
„Absolut. Wer ist es denn? Doch nicht jemand, den du aus dem Internet kennst? Du weißt, wie gefährlich das sein kann.“
Lächelnd tätschelt Mum meine Hand. „Sicher weiß ich das, sonst hätte ich es dir nicht ständig gepredigt.“
„Also, wer?“
„Ein Immobilienmakler, der seit kurzem mit uns zusammenarbeitet. Um die vierzig, geschieden, gutaussehend. Und er mag Hunde.“
Die drei T’s wedeln mit dem Schwanz, als hätten sie das verstanden.
„Klar helfe ich dir.“ Ich stütze die Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn auf die Fäuste und studiere Mums Gesicht: Ihre formlosen Haare, die ungezupften Augenbrauen, die randlose Brille, die ihrem Blick etwas Leeres gibt.
Ich habe Mum tausend Mal gesagt, dass sie mehr aus ihrem Typ machen muss, aber jetzt, wo sie dabei meine Hilfe will, bin ich komplett ratlos. Anstelle der Tageszeitung hätte ich lieber Frauenmagazine studieren sollen.
Zum Haare färben wird die Zeit jedenfalls nicht reichen. Dieses fade Mausbraun ist eine Katastrophe. Ich kann von Glück sagen, dass ich es nicht geerbt habe, und das verdanke ich meinem Vater.

Mein Vater
Die goldblonden Haare sind angeblich das Einzige, was ich von meinem unbekannten Erzeuger habe. Genau genommen ist die Haarfarbe schlichtweg alles, woran meine Mum sich bei dem Kerl erinnert. Selbst seine Nationalität kann sie nicht genau sagen, denn sie hatte zu viel getankt, als „es passierte“. Ich bin entweder Halbschwedin, Halbdänin oder Halbnorwegerin.
Mein Vater war ein Urlaubsflirt. Das ist jedenfalls Mums Bezeichnung dafür. Ich würde es einen One-Night-Stand nennen. So oder so war dieser Spontanfi… (hüstel) während einer Stockholmreise das einzig Leichtsinnige, das sie je in ihrem Leben getan hat. Und auch, wenn sie mir oft versichert, dass sie es nicht bereut hat, weil sie ja mich dafür bekam, frage ich mich, warum sie seitdem so übertrieben brav und gewissenhaft ist.

„Ich würde dir liebend gern helfen, aber ich habe nur ein bisschen Mascara und Puder. Komm doch nach der Arbeit in die WG und lass dich von Vally stylen. Er hat es echt drauf.“
Mum verzieht den Mund. „Wird er es auch nicht übertreiben? Ich will am Ende nicht wie eine Transe aussehen.“
„Vally ist keine Transe, nur weil er schwul ist. Er hat einen Blick für Farben und alles, sonst würde er ja nicht Kunst studieren. Schminken ist eine seiner Leidenschaften. Er hat schon in der Schule seine Klassenkameradinnen gepimpt.“
Mich motzt er ebenfalls regelmäßig auf, wovon Mum nichts zu wissen braucht. Wenn ich abends weggehe, verlasse ich das Haus züchtig in Jeans und T-Shirt. Vally verschönert mich, und ab geht‘s ins Nachtleben.
„Ja, okay, meinst du, er würde das machen?“, fragt Mum unsicher.
„Bestimmt.“
„Also dann … dann komme ich um vier.“
„Schön, bring eine Auswahl an Klamotten mit.“ Sicherheitshalber füge ich hinzu: „Aber bloß nichts Beiges!“

Kapitel 2

Nachdem Mum zur Arbeit gegangen ist, wasche ich mir die Hände, die so mit Druckerschwärze beschmiert sind, dass man mir ohne Stempelkissen die Fingerabdrücke nehmen könnte.
Ich fahre mir kurz durch die Haare und trete bestens gelaunt in den sonnigen Morgen hinaus. Mit jeder Faser meines Körpers spüre ich, dass es ein besonderer Sommer wird. Und er beginnt mit einem Tag, der prallvoll ist.
Zuerst geht es mit den drei T’s in den Park, danach zum Brunch, der bestimmt superlecker wird, denn der Lange ist ein genialer Koch.
Anschließend folgt das Umstyling meiner Mutter, das der WG jede Menge Pluspunkte einbringen wird und mich damit näher an das Ziel meiner Mission.
Um sechs Uhr abends steht ein Besuch bei Elektro-Hinz auf dem Programm, wo mein Freund Theo seine Ausbildung macht. Donnerstags arbeitet er immer bis 22 Uhr, also haben wir nur seine Pause, um herumzuknutschen, aber das wird reichen, um mich für den Rest des Abends in einen Taumel der Leidenschaft zu versetzen, denn:

Mein Theo kann …
1. super küssen
2. genial küssen!
3. absolut unfassbar toll küssen!!!

Leider sind wir bisher nicht übers Küssen hinausgekommen, denn Theo weigert sich standhaft, mich daheim zu besuchen oder mich gar zu sich mitzunehmen. Er sagt, Eltern würden ihn verlegen machen, besonders seine eigenen. Also können wir uns nur in der Öffentlichkeit sehen: an seinem Arbeitsplatz, im Kino, im Freibad, in der Disco, in Kneipen oder auf einer Bank im Kurpark. In den zwei Monaten, die wir zusammen sind, haben wir noch keine fünf Minuten echte Privatsphäre erlebt. Ein Grund mehr für mich, in die WG zu ziehen. Dort gibt es weit und breit keine Eltern, und Theo und ich werden endlich zur Sache kommen.
Nach dem Knutschintermezzo mit Theo wird mein Tag dann um halb acht erst richtig losgehen, denn dann treffe ich mich mit meinem besten Freund Arik, mit dem ich einen Salsakurs machte. Das ist für mich immer das Highlight der Woche.
Zu den Verrückten ist es eine Viertelstunde mit der U2, die so leer ist, dass ich mir die Zeit mit Tanzschritten vertreiben kann. Da ich mich dabei an einer Stange festhalte, könnte es glatt als Poledancing durchgehen. Dann jogge ich die zweihundert Meter von der Station bis zur WG und klingle Sturm, weil ich nicht weiß, wohin mit all meiner Energie.
Der Türsummer geht, ich sause die Treppe hoch in den vierten Stock und umarme den erstbesten Menschen, der mir entgegenkommt und sich als mir unbekannte Frau im Seeräuberkostüm entpuppt – samt Augenklappe und Plüsch-Papagei auf der Schulter. Da die Frau deutlich kleiner ist als ich, piekt mich der Schnabel des Papageis ins Auge. Ich lasse sie los und meine: „Sie müssen Laskos Mutter sein. Ich bin Flora.“
„Was für ein hübscher Name.“
„Danke.“

Wieso ich Flora heiße
Mum dachte, ich würde ein Junge werden. Auf den Ultraschallbildern sieht es tatsächlich so aus, davon konnte ich mich selbst überzeugen. Weil Mum schon vor meiner Geburt mit mir sprechen wollte, nannte sie mich Florian. „Hallo mein kleiner Flo, wie geht es dir da drin?“ Als ich mich als Mädchen entpuppte, hat sie mir den erstbesten mit Flo beginnenden Mädchennamen gegeben, der ihr einfiel. Man stelle sich vor, ihr wäre Florentine oder Florence in den Sinn gekommen. Ups.

„Unser erster Gast ist da“, ruft Laskos Mutter in die Wohnung, was mir seltsam vorkommt, denn ich betrachte die WG als mein zweites Zuhause.
Ein Mann, vermutlich Laskos Vater, winkt mit einem Dolch. Auf dem Weg in Laskos Zimmer werfe ich einen Blick in die Küche. Das kalte Büffet kann sich sehen lassen. Da haben die Eltern bestimmt geholfen.
Mal sehen, ob wir es schaffen, das alles bis drei Uhr zu vernichten, weil Lasko und seine Eltern dann zum Flughafen aufbrechen. Das wird eine tränenreiche Angelegenheit. Trotz meiner Frohnatur habe ich extrem nah am Wasser gebaut. Ich bin ein lebendes Venedig. Bei Beerdigungen heule ich immer am meisten von allen, und wir gehen oft auf Beerdigungen, weil Mums Bruder Matthias Pastor ist, ein vielbeschäftigter Mann. Wir sehen ihn viel zu selten. Also gehen wir uns seine Trauerreden anhören. Nach zwei Sätzen von ihm öffnen sich bei mir jedes Mal die Schleusen. Am Ende bekomme ich die meisten Umarmungen ab, obwohl ich den Verstorbenen nicht kenne. Oft weiß ich nicht mal, ob da Mann, Frau oder Hund beigesetzt wurde.
Heute werde ich mich auf jeden Fall zusammenreißen, egal wie sehr der Abschiedsschmerz mich ergreift, denn ich will Laskos Mutter nicht die Show stehlen. Ich werde mich ablenken, indem ich an etwas Schönes denke. Zum Beispiel an den Pudding, den der Lange an meinem sechzehnten Geburtstag gemacht hat: Vanille und Schoko, immer abwechselnd geschichtet, und nach dem Erkalten in Scheiben geschnitten. Die so entstandenen gestreiften Stücke hat er mit Sahne und aromatischen Erdbeeren garniert. Oh Mann, auf solche Köstlichkeiten werde ich nun ein Jahr lang verzichten müssen.
„Danke für die Einladung“, will ich höflich sagen, als ich den Vater begrüße, komme aber nur bis „-ke“, dann klappt mir vor Staunen der Unterkiefer runter. Die Eltern und die Jungs müssen die Nacht durchdekoriert haben, um dem Langen einen rauschenden Abschied zu bereiten.
Auf dem Bett ist ein Schiffsrumpf aus Pappe aufgebaut, von dem kleine Plüschratten fliehen. An der Wand hängt ein Riesenposter der Titanic. Ein Fischernetz mit Plastikfischen baumelt von der Decke. Aus dem CD-Player tönt der Soundtrack von Fluch der Karibik.
Der Lange, in einem Käpt’n-Blaubär-T-Shirt, reicht mir ein Glas Sekt Orange.
Julius, dessen einzige Verkleidung eine Augenklappe ist, fragt, ob jemand daran gedacht hat, Vally zu wecken. „Der hatte sich noch mal hingehauen“, erklärt er mir.
Ches kommt in einem Matrosenanzug aus dem Flur und meldet: „Ich hab ihn geweckt. Stilgerecht mit einem Nebelhorn. Habe ich mir als Klingelton runtergeladen. Hallo, Flora.“
Da erscheint Vally in einem altmodischen, gestreiften Herrenbadeanzug. Die vier Verrückten sind vollzählig. Bald werden es nur noch drei sein, aber ich gedenke ja, die entstehende Lücke zu füllen, falls Mum es erlaubt.

Die Verrückten
Lasko (der Lange), könnte ein begnadeter Koch werden, aber als Arzt wird er bestimmt ebenfalls eine gute Figur machen.
Valerian (Vally), studiert Kunst, atmet Kunst, lebt Kunst. Wenn er nicht malt, bildhauert oder schminkt, spielt er temperamentvoll E-Geige oder kämpft tapfer mit seinen schwarzen Kräusellocken, die sich gegen jegliches Styling sperren. Er hat ein ansteckendes Lachen und sammelt Theater- und Bühnenklamotten.
Julius studiert Biologie und ist ein wandelndes Kunstwerk, das nicht Vally geschaffen hat, sondern Sandra, die Freundin von Julius. Sie ist Tätowiererin und hat sich auf Julius verewigt. Er hat außerdem die seidigsten blonden Haare, die je ein Mensch auf diesem Planeten gehabt hat. Sie reichen ihm bis zum Po. Wenn er sie offen trägt, sieht er aus wie ein Engel. Ein tätowierter Engel. Er hält als Haustiere eine Rotknievogelspinne und eine Python.
Chester (Ches) ist Sportstudent, ein drahtiger Typ von der Sorte Schlag-den-Raab-Kandidat mit ständig wechselnden Freundinnen. Ich habe es aufgegeben, mir ihre Namen zu merken und nummeriere sie nur noch. Derzeit bin ich bei Freundin Nummer 7, kurz F7, nicht eingerechnet die Frauen, die er hatte, bevor ich ihn kennengelernt habe.

Ich bestaune noch die Dekoration, da drückt Vally den Hai Laskos Vater in die Pranken, nimmt mich an der Hand und zieht mich rüber in sein Zimmer. „Du hattest wohl nichts Passendes“, sagt er, während er in seinem Fundus wühlt. Er fördert einen Degen zutage und schnallt ihn mir um.
„Ich wusste nicht mal, dass es eine Themenparty sein würde.“
Vally drückt mir einen Dreizack in die Hand. „Hat Theo es dir nicht ausgerichtet?“
Ich vermute, dass Vally ihn beim Kauf seines neuen Glätteisens getroffen hat. „Er ist bei der Arbeit immer so gestresst, da ist es ihm wohl entfallen.“
„Nein, das war nicht bei Elektro-Hinz-und-Kunz. Ich hatte dich angerufen und Theo ging ran.“ Vally klebt mir einen Kinnbart an. „So, fertig. Flora, der Schrecken der Weltmeere.“
„Wann war das?“
„Der Anruf? Samstagabend. Er sagte, du wärst grad auf der Keramik.“
„Ach so“, meine ich leichthin, doch in meinem Kopf beginnt es zu rattern.
Inzwischen sind weitere Gäste eingetroffen, alles Studienkollegen von Lasko. Einer will wissen, was es mit dem Piratenthema auf sich hat. „Möchte Lasko jetzt etwa Schiffkoch werden anstatt Internist?“
„Das kommt daher“, sagt Vally, „dass ich dafür die meisten Kostüme und Props habe. Raumfahrt wäre auch gegangen, ich habe ein paar echt scharfe Alienoutfits, aber Piraten passten dann doch besser. Weißt du, Spanien war eine der größten Seefahrernationen. Entdecker, Weltumsegler, Freibeuter und so.“
Ich zupfe an meinem Bart. „So so.“ Da es in mir immer noch rattert, gehe ich in die Küche, nehme mir ein Häppchen, in dem ein Zahnstocher mit einer winzigen Seeräuberflagge steckt, und überlege, wieso ich auf Theo sauer bin.
So schlimm ist es nun auch wieder nicht, dass er mir die Nachricht von Vally nicht weitergegeben hat. Aber hoppla: Wieso ist er an mein Handy gegangen? Am Samstagabend waren wir im Kino, in einem Film, den Theo ausgesucht hat. Ich bevorzuge romantische oder lustige Filme, er mag es laut, actionlastig und schnell.
Als ich von Verfolgungsjagden und sinnlosem Blutvergießen genug hatte, sagte ich Theo, ich müsse mal aufs Klo, und bin für eine Weile rausgegangen. Meine Handtasche ließ ich bei Theo, ich wollte ja nur ein bisschen frische Luft schnappen. Und da muss Vally angerufen haben.
Was ist also passiert? Mein Handy war in meiner Handtasche, auf lautlos gestellt. Das weiß ich genau, denn als ich nach der Vorstellung den Ton wieder angestellt habe, dachte ich, dass bei dem Krach sowieso niemand einen Klingelton herausgehört hätte. Um zu merken, dass mein Handy vibrierte, muss Theo die Hände in meiner Handtasche gehabt haben. Hat er etwas gesucht? Kaugummis vielleicht oder ein Taschentuch? Oder hat er neugierig herumgewühlt? Und wieso ist er rangegangen? Ich würde nie an sein Handy gehen – und wenn ich es täte, würde er mir die Hölle heiß machen. Er hat seine Mutter kürzlich mit seinem Tagebuch erwischt und drei Tage lang kein Wort mit ihr gesprochen.
Mein lieber Schollikowski! Heute Abend werden wir nicht nur knutschen, Theo wird mir Rede und Antwort stehen müssen.


Über die Autorin:
Tina Zang hat sich einen Namen gemacht mit ihren frechen und ungewöhnlichen Kinder- und Jugendbüchern. Sie schreibt seit zwanzig Jahren, weil es nichts gibt, was sie glücklicher macht ... außer Singen und Katzen streicheln.

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