Klappentext:
Endlich 16!
In angesagte Clubs gehen,
die Ferien in einer coolen WG verbringen, die erste Liebe genießen ... von
wegen! Ehe Flora es sich versieht, werden ihre Pläne komplett
durcheinandergewirbelt. Es kommt zu Missverständnissen und Eifersuchtsdramen.
Die spinnen doch, die Jungs!
Bis auf einen: Yannick mit
den schönen grünen Augen, an den Flore immer mehr ihr Herz verliert. Ob ihr
Sommer noch zu retten ist?
Leseprobe
Kapitel 1
Für mich ist
jeder Tag ein guter Tag und manche Tage sind sogar noch besser. Erste Ferientage
fallen in diese Kategorie, darum komme ich an diesem Sommermorgen pfeifend in
die Küche geschlendert. Laut und schief pfeifend, wie ich gestehen muss, was
mir eine erhobene Augenbraue von meiner Mutter einbringt.
Ich hebe ebenfalls eine
Augenbraue und pfeife dabei weiter. Gar nicht einfach, so viel Feinmotorik am
frühen Morgen. Ja, früher Morgen, trotz Ferien! Langschläfer verpassen die
Hälfte des Lebens, und vor allem erwischen sie die Morgenzeitung nicht als
erste. Vor drei Wochen habe ich angefangen, sie täglich zu studieren, bevor
meine Mutter sie in die Finger bekommt, weil sie interessante Artikel
ausschneidet und sammelt.
Ich beende mein Pfeifkonzert, um
die Nerven von Tom, Todd und Tadeus zu schonen, die um den Tisch herumtapsen.
Ich knuddle sie zur Begrüßung, gleite auf die Eckbank, schiebe Honigglas und
Käseteller zur Seite, damit ich die Zeitung ausbreiten kann, und lese
hochkonzentriert den Leitartikel. Ich habe eine Mission und wenn ich mir etwas
vornehme, ziehe ich es eisern durch.
Mum, die darauf wartet, dass der
Toast hüpft, fragt etwas, das ich nicht verstehe, weil ich nicht zuhören kann,
während ich lese.
„Das Gesundheitssystem
reformieren“, murmele ich. Dann sehe ich auf. „Wie war die Frage?“
„Was du heute vorhast.“
„Abschieds-Brunch bei den
Verrückten, weil der Lange nach Madrid fliegt.“
Die Verrückten habe ich vor einem
Jahr kennengelernt, als Mum, die bei einer Stuttgarter
Hausverwaltungsgesellschaft arbeitet, ihnen eine WG-geeignete Fünfzimmerwohnung
zeigte. Ich bin zu dem Besichtigungstermin mitgekommen, weil ich ein Referat
über den Arbeitsalltag meiner Eltern schreiben sollte. Es wurde ein kurzes
Referat, denn mehr Elternteile als Mum habe ich nicht vorzuweisen.
Ich fand die vier jungen Männer,
die zur Besichtigung kamen, auf Anhieb super lieb. Sie waren alle ein bisschen
durchgeknallt, aber auf sehr nette und spannende Art. Auch Mum war von ihnen
angetan, weil sie in ganzen Sätzen redeten und gut rochen. Damit stachen sie
aus allen Interessenten heraus und bekamen den Zuschlag für die Wohnung.
Allerdings fand Mum sie auch etwas unkonventionell, wie sie es ausdrückte.
Inzwischen wurde aus „die etwas unkonventionellen jungen Herren“ kurz und knapp
„die Verrückten“.
Einer von ihnen, Lasko, von allen
nur der Lange genannt – er misst stolze 1,58 m und ist damit einen halben Kopf
kleiner als ich – wird ein Auslandssemester in Spanien verbringen und reist
heute ab.
Ich vertiefe mich wieder in die
Tagespolitik. Nach drei Seiten ist mein Wissenshunger gestillt und ich lese die
nächste Seite nebenher, während ich die Toastscheibe buttere, die Mum mir auf
den Teller gelegt hat. Wieder erreichen mich Satzfetzen.
Ich blicke auf. „Entschuldige,
was hast du gesagt?“ Ich weiß, das klingt übertrieben höflich, aber das hängt
alles mit meiner Mission zusammen.
Meine Mission
Ich will die
Sommerferien bei den Verrückten verbringen, da das Zimmer des Langen frei wird.
In der WG ist es schrill, wild und lustig. Absolutes Kontrastprogramm zu hier.
Bei uns ist alles spießig, langweilig und beige, vom Teppichboden bis zur
Kloschüssel. Ich kleide mich stets sehr bunt, um meine reizarme Umgebung zu
kompensieren.
Ferien in
der WG wären das Paradies. Nicht mehr wegen jedem Quatsch um Erlaubnis fragen!
Weit weg von den sinnlosen Ermahnungen einer krankhaften Pedantin, sprich:
meiner Mutter! Yessss!!!
Bevor ich
sie um Erlaubnis bitte, will ich ihr zeigen, dass ich alle Pubertätsflausen
hinter mir gelassen habe und erwachsen, verantwortungsbewusst und zuverlässig
genug bin, um für eine Weile daheim auszuziehen. Bildung und gutes Benehmen
sind dabei die Kernkompetenzen, mit denen ich sie beeindrucken werde.
„Ich sagte, du hast die Butter
unregelmäßig geschmiert.“
Ich halte die Toastscheibe auf
Augenhöhe. Die Butter liegt wie Wellblech darauf. „Das ist die neueste Diätsensation
aus Hollywood. Mach es wie die Stars.
Verliere 7 Pfund in 7 Stunden mit der Bite-by-Bite-Methode!“
Mum seufzt, wie so oft, wenn
Humor gefordert ist. Ach, wie ich daheim meine Talente verschwende! Ich sprühe
vor Esprit – und ernte nur seltsame Blicke und skeptische Bemerkungen. Bei den
Verrückten wäre sofort eine Nonsensdiskussion in Gang gekommen.
Julius würde mir beipflichten.
„Aber natürlich, dass da noch nicht früher jemand draufgekommen ist. Mal viel,
mal wenig Fett, bei jedem Bissen eine andere Menge. Das bringt den Stoffwechsel
in Schwung.“
Vally würde mir das Brot
wegnehmen und sage, dass ich dünn genug wäre, darum müsse er sich opfern und an
meiner Stelle die Diät machen.
Und was bekomme ich hier? Eine
geballte Ladung Besorgnis wegen so einer Nichtigkeit. Aber ich fange mich
schnell, streiche die Butter glatt und lasse den Honig in gleichmäßigen
Streifen vom Löffel laufen.
Mum ist schon beim nächsten
Tagesordnungspunkt. „Wie lange dauert denn das Brunch?“
Ha, mein Stichwort! „Es heißt der Brunch“, sage ich und freue mich
tierisch, etwas von dem Wissen auspacken zu können, das ich in letzter Zeit
gesammelt habe. „Brunch ist ein so genanntes Kofferwort, also ein Kunstwort aus
Segmenten, die zu einem neuen Wort verschmolzen sind. Genau wie Smog, Motel und
Bollywood.“
Mum lächelt und streichelt mir
über den Kopf, eine Geste, die sonst den drei T’s vorbehalten ist. „Was du
alles weißt.“
„Je mehr man weiß, desto besser
findet man sich in der Welt zurecht.“ Hey, das ist so ziemlich das Erwachsenste,
was ich je gesagt habe und es ist mir spontan eingefallen. „Wieso willst du
wissen, wann ich zurück bin?“
„Weil ich dich brauche. Also,
deine Hilfe. Weil … ich treffe mich abends mit jemandem und … will einigermaßen
nett aussehen.“
Sie stammelt! Wahnsinn. Es ist so
weit. Sie hat einen Mann kennengelernt. Heureka, hossa und hurray!
Als ich noch klein war, hatte ich
Angst davor, Mum könnte einen Mann anschleppen. Ich wollte keinen Fremden im
Haus haben, und schon gar keinen Stiefvater. Hin und wieder tauchte einer auf,
aber alle tauchten auch schnell wieder ab, vertrieben von den seltsamen
Anwandlungen meiner Mutter. Ich meine, welcher Mann will sich vorschreiben
lassen, dass er die Gurkenscheiben auf einem Leberwurstbrot in Reih und Glied
anordnen soll?
In letzter Zeit hat sich meine
Einstellung geändert. Jetzt finde ich, dass Mum dringend einen Partner
bräuchte, damit sie nicht mehr so auf mich fixiert ist.
Hoffnungsfroh frage ich: „Hast du
ein Date?“
„Ähm, ja. Ich hoffe, das ist okay
für dich.“
„Absolut. Wer ist es denn? Doch
nicht jemand, den du aus dem Internet kennst? Du weißt, wie gefährlich das sein
kann.“
Lächelnd tätschelt Mum meine
Hand. „Sicher weiß ich das, sonst hätte ich es dir nicht ständig gepredigt.“
„Also, wer?“
„Ein Immobilienmakler, der seit
kurzem mit uns zusammenarbeitet. Um die vierzig, geschieden, gutaussehend. Und
er mag Hunde.“
Die drei T’s wedeln mit dem
Schwanz, als hätten sie das verstanden.
„Klar helfe ich dir.“ Ich stütze
die Ellenbogen auf den Tisch und das Kinn auf die Fäuste und studiere Mums
Gesicht: Ihre formlosen Haare, die ungezupften Augenbrauen, die randlose
Brille, die ihrem Blick etwas Leeres gibt.
Ich habe Mum tausend Mal gesagt,
dass sie mehr aus ihrem Typ machen muss, aber jetzt, wo sie dabei meine Hilfe
will, bin ich komplett ratlos. Anstelle der Tageszeitung hätte ich lieber
Frauenmagazine studieren sollen.
Zum Haare färben wird die Zeit
jedenfalls nicht reichen. Dieses fade Mausbraun ist eine Katastrophe. Ich kann
von Glück sagen, dass ich es nicht geerbt habe, und das verdanke ich meinem
Vater.
Mein Vater
Die
goldblonden Haare sind angeblich das Einzige, was ich von meinem unbekannten
Erzeuger habe. Genau genommen ist die Haarfarbe schlichtweg alles, woran meine
Mum sich bei dem Kerl erinnert. Selbst seine Nationalität kann sie nicht genau
sagen, denn sie hatte zu viel getankt, als „es passierte“. Ich bin entweder
Halbschwedin, Halbdänin oder Halbnorwegerin.
Mein Vater
war ein Urlaubsflirt. Das ist jedenfalls Mums Bezeichnung dafür. Ich würde es
einen One-Night-Stand nennen. So oder so war dieser Spontanfi… (hüstel) während
einer Stockholmreise das einzig Leichtsinnige, das sie je in ihrem Leben getan
hat. Und auch, wenn sie mir oft versichert, dass sie es nicht bereut hat, weil
sie ja mich dafür bekam, frage ich mich, warum sie seitdem so übertrieben brav
und gewissenhaft ist.
„Ich würde dir liebend gern
helfen, aber ich habe nur ein bisschen Mascara und Puder. Komm doch nach der
Arbeit in die WG und lass dich von Vally stylen. Er hat es echt drauf.“
Mum verzieht den Mund. „Wird er
es auch nicht übertreiben? Ich will am Ende nicht wie eine Transe aussehen.“
„Vally ist keine Transe, nur weil
er schwul ist. Er hat einen Blick für Farben und alles, sonst würde er ja nicht
Kunst studieren. Schminken ist eine seiner Leidenschaften. Er hat schon in der
Schule seine Klassenkameradinnen gepimpt.“
Mich motzt er ebenfalls
regelmäßig auf, wovon Mum nichts zu wissen braucht. Wenn ich abends weggehe,
verlasse ich das Haus züchtig in Jeans und T-Shirt. Vally verschönert mich, und
ab geht‘s ins Nachtleben.
„Ja, okay, meinst du, er würde
das machen?“, fragt Mum unsicher.
„Bestimmt.“
„Also dann … dann komme ich um
vier.“
„Schön, bring eine Auswahl an
Klamotten mit.“ Sicherheitshalber füge ich hinzu: „Aber bloß nichts Beiges!“
Kapitel 2
Nachdem Mum
zur Arbeit gegangen ist, wasche ich mir die Hände, die so mit Druckerschwärze
beschmiert sind, dass man mir ohne Stempelkissen die Fingerabdrücke nehmen
könnte.
Ich fahre mir kurz durch die
Haare und trete bestens gelaunt in den sonnigen Morgen hinaus. Mit jeder Faser
meines Körpers spüre ich, dass es ein besonderer Sommer wird. Und er beginnt
mit einem Tag, der prallvoll ist.
Zuerst geht es mit den drei T’s
in den Park, danach zum Brunch, der bestimmt superlecker wird, denn der Lange
ist ein genialer Koch.
Anschließend folgt das Umstyling
meiner Mutter, das der WG jede Menge Pluspunkte einbringen wird und mich damit
näher an das Ziel meiner Mission.
Um sechs Uhr abends steht ein
Besuch bei Elektro-Hinz auf dem Programm, wo mein Freund Theo seine Ausbildung
macht. Donnerstags arbeitet er immer bis 22 Uhr, also haben wir nur seine
Pause, um herumzuknutschen, aber das wird reichen, um mich für den Rest des
Abends in einen Taumel der Leidenschaft zu versetzen, denn:
Mein Theo kann …
1. super
küssen
2. genial
küssen!
3. absolut
unfassbar toll küssen!!!
Leider sind wir bisher nicht
übers Küssen hinausgekommen, denn Theo weigert sich standhaft, mich daheim zu
besuchen oder mich gar zu sich mitzunehmen. Er sagt, Eltern würden ihn verlegen
machen, besonders seine eigenen. Also können wir uns nur in der Öffentlichkeit
sehen: an seinem Arbeitsplatz, im Kino, im Freibad, in der Disco, in Kneipen
oder auf einer Bank im Kurpark. In den zwei Monaten, die wir zusammen sind,
haben wir noch keine fünf Minuten echte Privatsphäre erlebt. Ein Grund mehr für
mich, in die WG zu ziehen. Dort gibt es weit und breit keine Eltern, und Theo
und ich werden endlich zur Sache kommen.
Nach dem Knutschintermezzo mit
Theo wird mein Tag dann um halb acht erst richtig losgehen, denn dann treffe
ich mich mit meinem besten Freund Arik, mit dem ich einen Salsakurs machte. Das
ist für mich immer das Highlight der Woche.
Zu den Verrückten ist es eine
Viertelstunde mit der U2, die so leer ist, dass ich mir die Zeit mit Tanzschritten
vertreiben kann. Da ich mich dabei an einer Stange festhalte, könnte es glatt
als Poledancing durchgehen. Dann jogge ich die zweihundert Meter von der
Station bis zur WG und klingle Sturm, weil ich nicht weiß, wohin mit all meiner
Energie.
Der Türsummer geht, ich sause die
Treppe hoch in den vierten Stock und umarme den erstbesten Menschen, der mir
entgegenkommt und sich als mir unbekannte Frau im Seeräuberkostüm entpuppt –
samt Augenklappe und Plüsch-Papagei auf der Schulter. Da die Frau deutlich kleiner
ist als ich, piekt mich der Schnabel des Papageis ins Auge. Ich lasse sie los
und meine: „Sie müssen Laskos Mutter sein. Ich bin Flora.“
„Was für ein hübscher Name.“
„Danke.“
Wieso ich Flora heiße
Mum dachte,
ich würde ein Junge werden. Auf den Ultraschallbildern sieht es tatsächlich so
aus, davon konnte ich mich selbst überzeugen. Weil Mum schon vor meiner Geburt
mit mir sprechen wollte, nannte sie mich Florian. „Hallo mein kleiner Flo, wie
geht es dir da drin?“ Als ich mich als Mädchen entpuppte, hat sie mir den
erstbesten mit Flo beginnenden Mädchennamen gegeben, der ihr einfiel. Man
stelle sich vor, ihr wäre Florentine oder Florence in den Sinn gekommen. Ups.
„Unser erster Gast ist da“, ruft
Laskos Mutter in die Wohnung, was mir seltsam vorkommt, denn ich betrachte die
WG als mein zweites Zuhause.
Ein Mann, vermutlich Laskos
Vater, winkt mit einem Dolch. Auf dem Weg in Laskos Zimmer werfe ich einen
Blick in die Küche. Das kalte Büffet kann sich sehen lassen. Da haben die
Eltern bestimmt geholfen.
Mal sehen, ob wir es schaffen,
das alles bis drei Uhr zu vernichten, weil Lasko und seine Eltern dann zum
Flughafen aufbrechen. Das wird eine tränenreiche Angelegenheit. Trotz meiner
Frohnatur habe ich extrem nah am Wasser gebaut. Ich bin ein lebendes Venedig.
Bei Beerdigungen heule ich immer am meisten von allen, und wir gehen oft auf Beerdigungen, weil Mums Bruder
Matthias Pastor ist, ein vielbeschäftigter Mann. Wir sehen ihn viel zu selten.
Also gehen wir uns seine Trauerreden anhören. Nach zwei Sätzen von ihm öffnen
sich bei mir jedes Mal die Schleusen. Am Ende bekomme ich die meisten
Umarmungen ab, obwohl ich den Verstorbenen nicht kenne. Oft weiß ich nicht mal,
ob da Mann, Frau oder Hund beigesetzt wurde.
Heute werde ich mich auf jeden
Fall zusammenreißen, egal wie sehr der Abschiedsschmerz mich ergreift, denn ich
will Laskos Mutter nicht die Show stehlen. Ich werde mich ablenken, indem ich
an etwas Schönes denke. Zum Beispiel an den Pudding, den der Lange an meinem
sechzehnten Geburtstag gemacht hat: Vanille und Schoko, immer abwechselnd
geschichtet, und nach dem Erkalten in Scheiben geschnitten. Die so entstandenen
gestreiften Stücke hat er mit Sahne und aromatischen Erdbeeren garniert. Oh
Mann, auf solche Köstlichkeiten werde ich nun ein Jahr lang verzichten müssen.
„Danke für die Einladung“, will
ich höflich sagen, als ich den Vater begrüße, komme aber nur bis „-ke“, dann
klappt mir vor Staunen der Unterkiefer runter. Die Eltern und die Jungs müssen
die Nacht durchdekoriert haben, um dem Langen einen rauschenden Abschied zu
bereiten.
Auf dem Bett ist ein Schiffsrumpf
aus Pappe aufgebaut, von dem kleine Plüschratten fliehen. An der Wand hängt ein
Riesenposter der Titanic. Ein Fischernetz mit Plastikfischen baumelt von der
Decke. Aus dem CD-Player tönt der Soundtrack von Fluch der Karibik.
Der Lange, in einem
Käpt’n-Blaubär-T-Shirt, reicht mir ein Glas Sekt Orange.
Julius, dessen einzige
Verkleidung eine Augenklappe ist, fragt, ob jemand daran gedacht hat, Vally zu
wecken. „Der hatte sich noch mal hingehauen“, erklärt er mir.
Ches kommt in einem Matrosenanzug
aus dem Flur und meldet: „Ich hab ihn geweckt. Stilgerecht mit einem Nebelhorn.
Habe ich mir als Klingelton runtergeladen. Hallo, Flora.“
Da erscheint Vally in einem
altmodischen, gestreiften Herrenbadeanzug. Die vier Verrückten sind vollzählig.
Bald werden es nur noch drei sein, aber ich gedenke ja, die entstehende Lücke
zu füllen, falls Mum es erlaubt.
Die Verrückten
Lasko (der
Lange), könnte ein begnadeter Koch werden, aber als Arzt wird er bestimmt
ebenfalls eine gute Figur machen.
Valerian
(Vally), studiert Kunst, atmet Kunst, lebt Kunst. Wenn er nicht malt,
bildhauert oder schminkt, spielt er temperamentvoll E-Geige oder kämpft tapfer
mit seinen schwarzen Kräusellocken, die sich gegen jegliches Styling sperren.
Er hat ein ansteckendes Lachen und sammelt Theater- und Bühnenklamotten.
Julius
studiert Biologie und ist ein wandelndes Kunstwerk, das nicht Vally geschaffen
hat, sondern Sandra, die Freundin von Julius. Sie ist Tätowiererin und hat sich
auf Julius verewigt. Er hat außerdem die seidigsten blonden Haare, die je ein
Mensch auf diesem Planeten gehabt hat. Sie reichen ihm bis zum Po. Wenn er sie
offen trägt, sieht er aus wie ein Engel. Ein tätowierter Engel. Er hält als
Haustiere eine Rotknievogelspinne und eine Python.
Chester
(Ches) ist Sportstudent, ein drahtiger Typ von der Sorte Schlag-den-Raab-Kandidat mit ständig wechselnden Freundinnen. Ich
habe es aufgegeben, mir ihre Namen zu merken und nummeriere sie nur noch.
Derzeit bin ich bei Freundin Nummer 7, kurz F7, nicht eingerechnet die Frauen,
die er hatte, bevor ich ihn kennengelernt habe.
Ich bestaune noch die Dekoration,
da drückt Vally den Hai Laskos Vater in die Pranken, nimmt mich an der Hand und
zieht mich rüber in sein Zimmer. „Du hattest wohl nichts Passendes“, sagt er,
während er in seinem Fundus wühlt. Er fördert einen Degen zutage und schnallt
ihn mir um.
„Ich wusste nicht mal, dass es
eine Themenparty sein würde.“
Vally drückt mir einen Dreizack
in die Hand. „Hat Theo es dir nicht ausgerichtet?“
Ich vermute, dass Vally ihn beim
Kauf seines neuen Glätteisens getroffen hat. „Er ist bei der Arbeit immer so
gestresst, da ist es ihm wohl entfallen.“
„Nein, das war nicht bei
Elektro-Hinz-und-Kunz. Ich hatte dich angerufen und Theo ging ran.“ Vally klebt
mir einen Kinnbart an. „So, fertig. Flora, der Schrecken der Weltmeere.“
„Wann war das?“
„Der Anruf? Samstagabend. Er
sagte, du wärst grad auf der Keramik.“
„Ach so“, meine ich leichthin,
doch in meinem Kopf beginnt es zu rattern.
Inzwischen sind weitere Gäste
eingetroffen, alles Studienkollegen von Lasko. Einer will wissen, was es mit
dem Piratenthema auf sich hat. „Möchte Lasko jetzt etwa Schiffkoch werden
anstatt Internist?“
„Das kommt daher“, sagt Vally,
„dass ich dafür die meisten Kostüme und Props habe. Raumfahrt wäre auch
gegangen, ich habe ein paar echt scharfe Alienoutfits, aber Piraten passten
dann doch besser. Weißt du, Spanien war eine der größten Seefahrernationen.
Entdecker, Weltumsegler, Freibeuter und so.“
Ich zupfe an meinem Bart. „So
so.“ Da es in mir immer noch rattert, gehe ich in die Küche, nehme mir ein
Häppchen, in dem ein Zahnstocher mit einer winzigen Seeräuberflagge steckt, und
überlege, wieso ich auf Theo sauer bin.
So schlimm ist es nun auch wieder
nicht, dass er mir die Nachricht von Vally nicht weitergegeben hat. Aber
hoppla: Wieso ist er an mein Handy gegangen? Am Samstagabend waren wir im Kino,
in einem Film, den Theo ausgesucht hat. Ich bevorzuge romantische oder lustige
Filme, er mag es laut, actionlastig und schnell.
Als ich von Verfolgungsjagden und
sinnlosem Blutvergießen genug hatte, sagte ich Theo, ich müsse mal aufs Klo,
und bin für eine Weile rausgegangen. Meine Handtasche ließ ich bei Theo, ich
wollte ja nur ein bisschen frische Luft schnappen. Und da muss Vally angerufen
haben.
Was ist also passiert? Mein Handy
war in meiner Handtasche, auf lautlos gestellt. Das weiß ich genau, denn als
ich nach der Vorstellung den Ton wieder angestellt habe, dachte ich, dass bei
dem Krach sowieso niemand einen Klingelton herausgehört hätte. Um zu merken,
dass mein Handy vibrierte, muss Theo die Hände in meiner Handtasche gehabt
haben. Hat er etwas gesucht? Kaugummis vielleicht oder ein Taschentuch? Oder
hat er neugierig herumgewühlt? Und wieso ist er rangegangen? Ich würde nie an
sein Handy gehen – und wenn ich es täte, würde er mir die Hölle heiß machen. Er
hat seine Mutter kürzlich mit seinem Tagebuch erwischt und drei Tage lang kein
Wort mit ihr gesprochen.
Mein lieber Schollikowski! Heute
Abend werden wir nicht nur knutschen, Theo wird mir Rede und Antwort stehen
müssen.
Über die Autorin:
Tina Zang hat sich einen
Namen gemacht mit ihren frechen und ungewöhnlichen Kinder- und Jugendbüchern.
Sie schreibt seit zwanzig Jahren, weil es nichts gibt, was sie glücklicher
macht ... außer Singen und Katzen streicheln.
Homepage:
http://www.tinazang.net
YouTube-Channel:
https://www.youtube.com/user/karatehamstermami
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.