Aus der Serie: Quick, quick, slow – Tanzclub Lietzensee
Klappentext:
Eine Tänzerin der Latein-Formation, Rita Färber, sitzt
verstört, mit den Händen vor dem Gesicht, auf der Treppe im Hinterhof des
Tanzclub Lietzensee. Vor ihr die Leiche ihres Tanzpartners Frederik Tapis. Was ist
geschehen? Während die Polizei den Tatort sichert, versucht Rita
Erinnerungsfetzen zusammenzuführen. Sie entdeckt, dass ihr Exfreund Holger
Flimms aus ihrer Münchner Heimat eine leidenschaftliche Rolle spielt. Wer trägt
die Schuld?
Gedruckt 72 Seiten, ISBN-13: 978-1490531229;bei amazon
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Leseprobe:
Kapitel 6
Rita schob ihre zwei
Finger weiter auseinander. Eine rote Jacke beugte sich über die Leiche und trug
einige Daten auf ein Klippboard ein. Die Szene wirkte falsch. Unecht. Wenn das
Ganze doch nur ein Traum wäre! Rita versuchte aufzuwachen. Ein Traum – klar, es
war normal, dass man sich nicht an alle Einzelheiten eines Traumes erinnerte.
Das würde alles erklären!
Sie wachte nicht auf,
weil sie nicht schlief. Die rote Jacke drehte sich um, ein rundes männliches
Gesicht sah sie an.
„Sollen wir das
Mädchen nicht doch untersuchen?“, sagte das runde Gesicht.
Die Stimme der
Kommissarin antwortete: „Lassen wir ihr noch etwas Zeit.“
Das runde Gesicht sah
immer noch sorgenvoll aus. Aber es drehte ihr wieder den Rücken zu.
Sie hatte sich doch
darauf eingelassen, mit Frederik als Partner in der Formation zu tanzen. War
sie von allen guten Geistern verlassen gewesen? Wo war ihre Menschenkenntnis
geblieben? Nur weil sie hier neu war, weil sie seinen Berliner Slang mochte,
die direkte Art – ach, was wusste sie schon. Wahrscheinlich war sie nur eitel
und ehrgeizig. Nach knapp zwei Wochen im neuen Tanzverein hatte sie, Rita
Färber, einen neuen Partner und reale Aussichten auf einen Platz in der
A-Formation. Das war’s. Sie war eine blöde Kuh. Eitel. Eitel. Eitel.
Immer noch Mittwoch, der zwölfte Tag in Berlin
Mit dem schwarzen Trägerkleid, einem Cardigan und den
braunen Stiefeln mit Absätzen war sie passend genug angezogen, fand Rita. Doch
als sie mit Kirsten den Club betrat, verschwand ihre gute Stimmung schnell. Was
dachten die Square Dancer über die Fotos? Hatten sie sie gesehen? Würden sie
Rita verurteilen, belächeln, bemitleiden. Bemitleiden und Belächeln wäre
schlimmer als Verurteilen. Was dachten sie von ihr?
Kirsten hatte sie wahrscheinlich nicht gesehen; sie war
ausgeglichen wie immer. Rita mochte ihre ehrliche und leicht naive Art –
allerdings drehte sich bei ihr zu viel um Kohle und Kleidung. Sie plapperte
gerade davon, während sie sich einen guten Platz suchten, von dem aus sie die
Bühne im Blick hatten. Rita hörte nur halb zu.
Der Club war relativ klein, ein einziger Raum, durch viele
Säulen unterteilt. Gegenüber vom Eingang lag die Bühne, links davon die Theke.
Rechts säumten einige Stehtische die Wand und in der Mitte verteilten sich
Tische; von den hinteren Plätzen aus konnte man sicher nicht mehr gut sehen.
Alle Möbel wirkten robust und langlebig, schienen schon viele Schrammen und
heißen Kneipendunst gesehen zu haben. Alles aus Holz, die Bühne ebenso wie die
Wandvertäfelung. Obwohl nicht mehr geraucht wurde, schien an den Wänden noch
der Dunst zu hängen. Die Tische waren mit Stars and Stripes dekoriert und fast
komplett besetzt. Das Publikum gemischt. Als sie einen freien Stehtisch an
einer Säule ergattert hatten, schlenderte einer der Square Dancer, Hinnerk
Martens, mit einem Bier in der Hand zu Rita und Kirsten herüber.
„Es dauert, bis es losgeht. Willst du ein Bier?“, fragte er
Rita.
„Bier wäre klasse.“
„Typisch Hinnerk, hat nur Augen für die Neulinge. Mir
bietest du kein Bier an?“, beschwerte sich Kirsten sofort.
„Du trinkst kein Bier, das weiß ich – aber ich hätte dir
schon auch etwas mitgebracht.“
„Vergiss es. Ich hab da hinten ein paar alte Freunde gesehen
und bin dann mal drüben. Wir sehen uns später!“ Sie zwinkerte Rita zu und Rita
staunte. Egal – sie brauchte jetzt kein dauerndes Reden. Hinnerk streckte ihr
sein Bierglas entgegen. Rita nahm es und er legte seinen Zeigefinger an die
Lippen. „Nicht weggehen, ich hol mir schnell ein neues.“
Rita lächelte. Hinnerk verstand es, dass man sich in seiner
Nähe wohlfühlte.
Akzeptiert, angenommen.
Und plötzlich war da wieder die Leere. Es sollte eigentlich
ein anderer hier stehen; einer, bei dem sie sich mehr als wohlfühlte. Sie
vermisste das Herz, das hüpfte.
Ihr Herz hüpfte schon lange nicht mehr. Es krampfte sich
immer mehr zusammen und quetschte Herzsaft heraus. Es versteinerte. Rita trank
ihr Bier in einem Zug aus.
Diese Berliner Kölsch Gläser waren lachhaft klein. „Darf
ich?“ Sie trank auch Hinnerks neues Glas in einem Zug aus.
„Das ist jetzt nicht nett“, sagte Hinnerk.
Jetzt fühlte sich alles nicht mehr so trostlos an. Jetzt
konnte es losgehen.
„Ich hole uns Nachschub“, versprach Rita.
„Na, dann gehe ich zur Sicherheit mit.“ Im Lokal wurde es
immer voller. Sie quetschten sich an der Bühne entlang. Das Ambiente erinnerte
Rita mehr an eine Wirtschaft mit Kabarettbühne im Münchner Vorland als an eine
Westernkneipe in Berlin.
Sie gelangten zur Bar und Hinnerk schob ihr einen Barhocker
hin und setzte sich selbst auf einen. „Ich sitze besser hier, ich bin heute nur
Ersatzmann, die Squares sind bis jetzt komplett. Wenn etwas ist, kann ich so
sofort einspringen.“
Rita nickte. Sie sah keinen Square Dancer weit und breit. Er
wollte also mit ihr reden. Sie trank von ihrem Bier.
„Was spülst du herunter?“, fragte Hinnerk. Als sie nicht
antwortete, fügte er hinzu: „Ich ahne es. Du findest die Fotos daneben?“
„Wieso das denn?“ Ritas Stimme klang schrill. „Sie sind doch
cool, voll die geniale Werbung“
„Wenn du das so sehen kannst.“ Hinnerk lehnte sich auf
seinem Barhocker zurück, als ob er sie besser abschätzen wollte.
„Ist mir doch egal – die Fotos gehen ja nur um die halbe
Welt. Und wenn ich mal Tänzerin bin – wird es Tausende solcher Fotos geben.“
„Und es ist dir nicht peinlich? Ich meine, was sagen deine
Freunde zu Hause dazu?“
In seinen Augen lag eine Mischung aus Verwunderung und
Bewunderung.
Als ob er Rita erforschte.
Sie sagte nichts – sie trank. Sie dachte an Holger. Holger
daheim – er sah die Bilder. Er war ja gewiss nicht prüde – das war es nicht –;
aber er konnte Bilder lesen – er las in ihrem Gesicht wie kein anderer. Und er
würde den Schmerz sehen und die Macht und – dass sie sich nicht gewehrt hatte.
Einmal nach der Trennung hatte er auf sie gewartet in der
Stadt und stellte nur eine Frage: „Hast du dich getrennt, weil du das wolltest
oder weil deine Eltern das wollten?“
Rita hatte geantwortet: „Natürlich, weil ich das wollte.“
Auch damals klang ihre Stimme etwas zu schrill.
Dann sagte er: „Dann ist es so – dann lass ich dich in
Ruhe“. Und er wartete nie wieder nach dem Training auf Rita. Er rief auch nicht
an – er antwortete nicht auf ihre SMS und ging nicht ans Telefon. Erst wieder
in den fünf Tagen vor ihrer Abreise.
Aber es war nicht ihr Wunsch gewesen – Rita war es nur nicht
gewohnt, Entscheidungen zu treffen, die andere missbilligten. Und an dem Abend
mit Hinnerk in diesem Club war es genauso. Es ist etwas anderes, zuzustimmen
als gar nichts zu sagen. Es ist etwas anderes, Fotos löschen zu lassen als sie
hinzunehmen.
Sie trank wieder einen Schluck Bier, anstatt zu antworten.
Natürlich hatte sie nicht zugestimmt. Ihr waren die Fotos zuwider.
Sie würde auf einem Berliner Radioball tanzen. In einer
Show. Keine Ahnung was, Hans-Dieter würde sie schon noch einweisen – war ja
nicht so schwer, in Gänseformation einen Salsa zu tanzen und ein paar Hebewürfe
einzubauen. Frederik hatte die Folgen schon mit ihr geübt. Das kam auf solchen
Bällen immer gut an.
Nach dem dritten Bier konzentrierte sie sich darauf, nicht
zu lallen.
Hinnerk fing schon wieder an: „Du hast zugestimmt?“
Natürlich nicht, natürlich doch. Rita wand sich. Nur nicht
zugeben, dass der Kerl sie so ausnützte. Doch sie wollte nicht lügen; es war
alles so unendlich peinlich.
Rita knetete ihre Finger, damit ihr etwas Gescheites
einfiel.
„Hör mal, ich muss wissen, ob du zugestimmt hast!“
„Du? Was musst du, was weißt du schon, was geht es dich
überhaupt an?“
Was für eine Ausfragerei, als ob sie ein Kleinkind wäre!
Gleichzeitig schämte sie sich. Hinnerks Tonfall war nicht ungerecht, nicht
überheblich. Er erinnerte sie schon wieder an Holger. Etwas länger und etwas
blonder. Rita versank in ihren Barhocker.
Eine der Tänzerinnen aus der Square Dance-Gruppe trat auf
ihn zu. „Hinnerk, Jens musste kurzfristig weg. Springst du ein?“
„Gleich, gleich.“
„Hinnerk, es geht los, wir treten jetzt auf und du musst
dich noch umziehen.“
Es hätte nur noch gefehlt, dass diese Ziege ihn vom Hocker
zog.
Und Rita half ihr noch; sie sagte zu Hinnerk: „Du kannst
ruhig gehen, ich komm schon klar.“
„Nicht weggehen, wir reden in der Pause weiter.“
„Was soll das bringen?“
„Ich will dir helfen, Rita, glaub mir. Ich will nicht,
dass du so endest wie Carmen.“
...
Die Autorin:
Die gelernte Gärtnerin Tine Sprandel
arbeitet nach Zwischenstationen am Theater und im Gartenbau als Autorin, Texterin und Webdesignerin. Sie
wohnt mit ihrer Familie im Münchner
Süden. Für die Reihe „Quick, quick, slow – Tanzclub Lietzensee“ schreibt sie
gerade an dem zweiten Roman. Außerdem ist sie für die Covergestaltung
zuständig.
Mehr zu Tine Sprandel: www.asprandel.de
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