Sonntag, 12. Juni 2016

"Zerrissene Bande, Die Vorgeschichte zur Mentalisten-Serie" von Kenechi Udogu

 
Übersetzerin: Eva Markert

Titel der Originalausgabe: "Broken Ties: Prequel (The Mentalist Series)"

Klappentext:

Nichts war außergewöhnlich an jener Nacht, in der alles anders wurde. Es gab keine Lichter, die am Himmel aufleuchteten, kein verzehrendes Feuer in meinem Leib, kein wie auch immer geartetes Anzeichen für die Veränderung, die bevorstand. Nora Brice stellte merkwürdige Dinge mit mir an. Merkwürdige und schreckliche Dinge ...

Paul Colt hat ein Problem, und es ist keins, mit dem die meisten Jungen im Teenageralter zu kämpfen haben. Ja, es gibt ein Mädchen, für das er – sollte sich jemals die Gelegenheit ergeben – Dummheiten begehen wird, da ist er sich ziemlich sicher. Aber er darf sich nicht darum bemühen, ihr Herz zu gewinnen, und auch nicht das Herz irgendeines anderen Mädchens. Das hat er davon, dass er ein Gedankenwender ist. Er ist gezwungen, sich in die Fortpflanzungslinie der Gemeinschaft einzufügen. Er weiß, einige Regeln kann man getrost vernachlässigen, andere dürften niemals gebrochen werden. Und wie lautet die wichtigste all dieser Regeln? 

Verliebe dich nicht.
Niemals.
Dies ist die Geschichte, wie Paul diese Regel bricht.
 
Erhältlich bei Amazon 
Leseprobe:
 
FÜNF

Paul
Irgendetwas stimmte nicht mit mir. Das musste es sein. Warum sonst hätte ich denken sollen, dass es eine gute Idee wäre, Nora Brice zu küssen? Ich hatte mir immer vorgestellt, den ersten Kuss würde ich mit der auserwählten Gebärerin meines Kindes tauschen. Das heißt, wenn die überhaupt zuließ, dass ich sie küsste. Ich hatte mich gefragt, ob es für das, was wir tun durften, Grenzen geben würde. Gab es Beschränkungen für die Zuneigung, die wir uns gegenseitig zeigen konnten – nur für den Fall, wir würden feststellen, dass wir uns mochten, und uns entscheiden, etwas Skandalöses zu tun, wie zum Beispiel durchzubrennen.
Sehen wir der Wahrheit ins Auge: Ich hatte mich auch gefragt, wie es wäre, Nora Brice zu küssen. Ich war ein verblendeter Teenager, der stundenlang von einem unwiderstehlichen Mädchen träumte – keine große Überraschung hier. Trotz meiner freakigen Fähigkeiten war ich immer noch nur ein Junge, der ein Mädchen mochte. Und bei diesen tief in meinen Gedanken verborgenen Fantasien – so dachte ich – würde es bleiben.

Die Sache war bloß die, dass ich in dieser Angelegenheit keine große Wahl hatte. Mit ihren leicht geöffneten Lippen so nah und dem nach Erdbeeren duftenden Haar auf meiner Handfläche vergaß ich augenblicklich alles, was ich über die Bewahrung von Zurückhaltung gelernt hatte, während meine Sinne von einer verzehrenden Hitze erfasst wurden.

Mein Gott, ihr Haar fühlte sich sogar noch seidiger an, als ich es mir vorgestellt hatte. An diesem Abend hatte sie es in weiche Locken gelegt, wahrscheinlich in einem Versuch, für die Party glamourös zu wirken. Der Aufwand wäre nicht nötig gewesen. Sie hätte sogar umwerfend ausgesehen, wenn ihr Haar unter einer Mütze verborgen gewesen wäre oder sie es vollständig abrasiert hätte. Nicht, dass ich sie jemals dazu auffordern würde. Ich würde niemals vorschlagen, auch nur eines der Mosaiksteinchen fortzunehmen, aus denen sich dieser perfekte Moment zusammensetzte.

Ihre Lippen, runde, weiche Kissen, pressten sich gegen meine. Ihre Haut, zart gebräunt und schimmernd im warmen Licht der Straßenlaterne, bildete einen wunderhübschen Kontrast zu meiner Blässe. Unsere bereits leicht keuchenden Atemzüge beschleunigten sich gleichzeitig, als ich mit meiner freien Hand ihr Gesicht umfasste und sie näher an mich heranzog. Sie reckte die Arme, bis ihre Hände auf meinem Rücken lagen, und drückte mich noch fester an sich.

Nach so vielen Monaten der Sehnsucht war es in Wirklichkeit noch hunderttausendmal schöner, Nora zu küssen, als ich es mir je erträumt hatte. Schöner als alles, was ich je in meinem Leben erlebt hatte. Was wir taten, war falsch, verboten, doch ich konnte mich nicht bremsen. Ich konnte den zierlichen Körper, der sich an mich schmiegte, nicht loslassen. Nun, wo ich wusste, wie fantastisch sie sich anfühlte, wie unglaublich ihre Lippen schmeckten, wie sollte ich da – so wie vorher – jahrelang ausharren, bis ich einundzwanzig wurde? Wie sollte ich sie mit jemand anderem als mit mir in den berühmten Sonnenuntergang und damit in ein Happyend hineinwandern lassen?

Am meisten beängstigte mich nicht die Tatsache, dass ich es mir selbst zugestanden hatte, über eine Grenze hinauszugehen, von der ich wusste, dass ich sie noch nicht einmal versuchsweise übertreten durfte. Auch nicht die Tatsache, dass dieser Kuss sich echter anfühlte als alles andere, was ich je getan hatte. Nein, was mich am meisten erschreckte, war, dass Nora mich tatsächlich zurückküsste.
 
Autorenvita:
Kenechi lebt in London und schreibt Romane und Erzählungen, die sich mit dem Fantastischen/Übersinnlichen beschäftigen.
Sie hat sieben Jugendbücher sowie Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien veröffentlicht.
Sie hasst Kälte und hofft, eines Tages herauszufinden, wie sie in einen Winterschlaf verfallen kann. 

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