Klappentext:
Als Josie ihren Vater in
Chicago besucht, platzen verstörende Ereignisse in ihr Leben. Scheinbar
zufällig lernt sie Amy kennen, die ihr von einem traumatischen Erlebnis
berichtet. Schaudernd stellen die beiden fest, dass sie einen gemeinsamen
irischen Vorfahren haben. Aber nicht genug damit, in Gestalt einer Amsel
erscheint ein Bote aus dem Reich der Sidhe* und erfleht Hilfe aus größter
Bedrängnis. Sein Ruf führt die Mädchen nach Irland, wo Amy kurz nach ihrer
Ankunft von dunklen Mächten entführt wird. In dem ehrwürdigen Anwesen
Springwood Manor, das eine wertvolle Bibliothek alter Mythen und Epen
beherbergt, findet die verzweifelte Josie neue Gefährten. Allen voran Arthur,
Spross einer Bardenfamilie. Aber auch Helfer aus einer anderen Realität geben
sich ihr zu erkennen. Jetzt erfährt Josie von ihrem magischen Erbe, einem
uralten Vermächtnis der Feen, das alle Beteiligten bis heute miteinander
verbindet.
Mehr und mehr erkennt sie,
dass alles, was in der Welt am Rand der Träume geschieht, von menschlichen
Fantasien heraufbeschworen wird!
*Sidhe,
sprich: Schie, sind Wesen aus der
irischen Mythologie.
"Das Vermächtnis der
Feen" – Eine Reise in das Reich am Rand der Träume.
Für fantasiebegabte Menschen
ab 12
Erhältlich bei Amazon.
Leseprobe:
In diesem Textauszug entdeckt
Josie nach langem Suchen den Zugang zur Anderwelt.
Ein Glockenschlag zerriss das Schweigen und ließ sie zusammenzucken. Ein weiterer Glockenschlag folgte. Ein dritter, ein vierter, ein fünfter, … ein zwölfter. Josie wurde kalkweiß. Die Melodie, die sich aus den Schlägen formte und nun in purpurroten Wellen durch den Raum schwebte, kannte sie gut. Wolf war bereits beim ersten Ton aufgesprungen. Mit zitternden Flanken fixierte er die gegenüberliegende Wand.
Arthur
drehte sich um. „Die Uhr!“, stellte er verblüfft fest. „Es ist die Uhr. – Aber
wie …? Sie geht doch gar nicht! Ich meine – sie ist nie gegangen!“
Josie
starrte auf das Zifferblatt. „Ist es tatsächlich schon Mitternacht?“
Arthur hob
seine Armbanduhr. „Erst Elf.“
Josie
beobachteten den großen Hund, der ohne Eile die Bibliothek durchschritt. Arthur
erhob sich und folgte ihm. Josie kam zögernd nach. Hoch über ihren Köpfen
standen die verschnörkelten Zeiger deckungsgleich auf Punkt Zwölf. Darüber
leuchtete ein kleiner silberner Vollmond.
„Sogar die
Mondphasenanzeige funktioniert wieder“, wunderte sich Arthur. „Versteh ich
nicht. Angeblich hat schon mein Urgroßvater versucht, die Uhr reparieren zu
lassen. Hat aber bisher noch kein Uhrmacher geschafft. – Oder hat Onkel Aaron
jetzt doch noch einen gefunden?“
„Nicht, dass
ich wüsste!“ Josie ging die wenigen Schritte zur Terrassentür und sah hinaus.
Ein strahlender Perlmuttmond, von unglaublicher Größe, wie ihn Josie noch nie
vorher gesehen hatte, blickte auf sie herab.
„Was für ein
unwirklicher Mond!“, murmelte Arthur, der ihr nachgekommen war.
„Lughnasadh“,
murmelte Josie und ein Gedanke platzte jäh in ihr Bewusstsein. „Heute ist
Lughnasadh.“ Sie wurde kreidebleich. „Heute. – Ich muss das Portal finden!“
Arthur sah
sie scheu an. „Meinst du das Portal …“
Josie nickte
stumm und hoffte, dass Arthur darauf verzichtete, sie mit skeptischen Fragen zu
verunsichern. Jetzt hieß es, alles daranzusetzen, nach Narranda zu kommen. Und
sie wusste, jeder noch so kleine Zweifel würde dieses Ziel behindern.
Pfotenscharren
riss sie aus ihrer Gedankenflut. Wie besessen kratzte Wolf an der Vertäfelung.
„Wolf!
Aus!“, wies ihn Arthur zurecht, während er schon auf ihn zulief, um ihn
wegzuziehen. „Du ruinierst ja die Schnitzereien!“
Eine
ahnungsvolle Erregung überrieselte Josie. „Komisch! – Ich meine, warum kratzt
er ausgerechnet hier? Unterhalb der Uhr!“ Ihr Blick tanzte die breite, mit
Rosenranken verzierte Halbsäule aufwärts bis zum Zifferblatt. „Sieh nur!“,
sagte sie mit bebenden Lippen. „Alle anderen Säulen sind viel schmäler. Warum
hat man hier bloß so viel Regalplatz verschenkt?“ Wolf klopfte mit dem Schwanz
auf den Boden und jaulte.
Josie
seufzte. „Sieht aus, als wolle er uns etwas sagen. – Wenn er doch nur sprechen
könnte!“
„Wolf?“
Arthur runzelte die Stirn, was Josie entging, da sie den Hund anstarrte, als
wolle sie seine Gedanken lesen.
„Diese
breite Säule …“, sagte sie bedächtig. „Ich meine, alte Häuser haben doch oft
Geheimtüren.“
Arthur
klopfte gegen das Holz. „Schwer zu sagen, klingt zwar massiv, aber …“ Er
schüttelte zweifelnd den Kopf.
Fiebernd tastete
Josie die Schnitzereien ab. Gab es einen Riegel, einen Schieber, irgendetwas,
das auf eine Tür hinwies?
„Warte!“
Arthur rannte zum Schreibtisch. „Ich hole Onkel Aarons Leselupe. Vielleicht
finden wir damit irgendwo einen verborgenen Riegel.“
Josie
wartete nicht. Sie streckte sich hoch, so hoch sie irgend konnte. Obwohl ihre
Schultern von der starken Streckung höllisch schmerzen, begann sie Blatt für
Blatt, Rose für Rose zu untersuchen. Wolf war erneut aufgesprungen, jeder
Muskel seines Körper zitterte vor Erregung. Arthur, der befürchtete, der Hund
könne erneut seine Krallen wetzen, hielt ihn, bereits die Lupe in der Hand, mit
seinem ganzen Gewicht zurück.
Dann schien
eine der Knospen unter Josies Fingern nachzugeben. „Da, die hier …!“, rief sie
aufgewühlt, und versuchte die geschnitzte Blüte nach rechts zu drehen. Aber es
tat sich nichts.
Völlig gegen
seine Gewohnheit gebärdete sich Wolf wie ein Verrückter, heulte, warf den Kopf,
bebte am ganzen Leib. Josie probierte es mit einer Linksdrehung. Wieder nichts!
„Verdammt!“
Sie donnerte mit der Faust gegen das Schnitzwerk. „Autsch!“ Und während sie
sich noch die Hand rieb, enthüllte Springwood Manor sein Geheimnis.
Unter
schaurigem Knarren sprang die Rankensäule zur Seite.
Wolf bellte.
Ein dunkles, unmissverständlich Beifall bekundendes Bellen.
„Bloody
hell!“, stieß Arthur aus.
Josie
Gedanken brodelten. Wie konnte das sein? Konnte Moma hellsehen?
Arthur trat
einen Schritt vor. „Ich wird verrückt! Er ist wieder aufgetaucht. Ist er nicht
wunderschön?“ Ehrfürchtig strichen seine Hände über einen länglichen Stein, der
ihn um einige Zentimeter überragte.
„Der
Ogham-Stein!“, presste Josie hervor.
Arthur
tastete behutsam die eingekerbten Schriftzeichen ab. „Hat dir Onkel Aaron von
Conall O’Reardon und dem Stein erzählt?“ Josie nickte abwesend. Arthur ließ
kein Auge von dem Fund. „Er ist unglaublich gut erhalten! Wahnsinn! Man hätte
eigentlich schon viel früher darauf kommen können, dass er im Haus versteckt
sein muss. Conall hat Springwood Manor um den Stein herumbauen lassen. Um das
Kernstück des Hauses – die Bibliothek.“
Josie hörte
ihm kaum zu. Im Pulsschlag ihres Herzens hämmerte ein Gedanke in ihrem Kopf.
Der rechte Ort, das rechte Wort. – Der rechte Ort, das rechte Wort …
„Der Stein
ist der Schlüssel“, sagte sie erregt. „Ich muss unbedingt herausfinden, was
darauf steht.“
Sie lief zum
Couchtisch, wo ihre Großmutter die Bücher abgelegt hatte, mit denen sie ihre
Recherche fortsetzen wollte. Kurz darauf saß Josie mit dem Band über
Ogham-Steine auf dem Parkett. Sie schlug mit der Handfläche auf den Einband.
„Ob wir es schaffen, damit die Zeichen zu entziffern?“
Arthur
strich sich ratlos durch die Haare. „Weiß nicht, wird nicht leicht sein. Auch
wenn wir die Buchstaben herausfinden. Der Text ist bestimmt altgälisch – und um
Orthographie haben die sich früher auch nicht geschert. Sicher sitzen wir in
vier Wochen noch hier, wenn wir den Stein dechiffrieren wollen. Wir sollten auf
Onkel Aaron warten. Der kennt sich mit der alten Sprache ganz gut aus.“
Josie legte
enttäuscht das Buch beiseite. Wolf steuerte auf seinen langen Beinen auf sie zu
und stupste sie so fest gegen die Brust, dass sie fast umfiel. „Was soll das
alter Knabe?“
Noch während
sie sich entrüstet hochrappelte, wurde ihr klar, was der Hund von ihr wollte.
Sie sprang auf und zog die Drachenfibel hervor.
„Was machst
du da?“ Aber Arthur erhielt keine Antwort. Fassungslos beobachtete er, wie das
Purpurherz mit einem Mal eine Funkenkaskade versprühte. Dann sprach Josie wie
in Trance die Worte:
Von den
Dingen zu den Träumen,
zu den tief
verborg’nen Räumen,
möge dieses
Tor mich bringen.
Weiche Stein
und lass mich ein!
Arthur
wollte eben sein Erstaunen kundtun, als etwas so Eigenartiges geschah, dass es
ihm die Sprache verschlug.
Josie hatte
kaum das letzte Wort gesprochen, da spaltete sich der Stein in zwei Hälften.
Ein Gang tat sich auf. Eng, doch breit genug, ihn zu passieren. Wie eine
Schlafwandlerin trat Josie durch die Pforte. Und Wolf folgte ihr, als hätte er
auf diesen Augenblick nur gewartet.
„Josie!
Warte!“, rief Arthur.
Doch bevor
er nur daran denken konnte, ihr nachzukommen, fand er sich völlig verwirrt
allein in der Bibliothek. Nichts, rein gar nichts wies auf das unfassbare
Geschehen hin, dessen einziger Zeuge er war. Keine Spur von einer Öffnung,
keine von einem Stein. Die Halbsäule mit den geschnitzten Ranken glänzte im
warmen Licht der Stehlampe. Sein Blick wanderte zur Uhr. Punkt Zwölf. Immer
noch. Er horchte. Nein, sie tickte nicht.
Vita:
Brigitte Endres hat
Grundschulpädagogik, Germanistik und Geschichte studiert. Heute arbeitet sie
als Kinderbuchautorin für Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz
sowie für den Bayerischen Rundfunk und den RBB. Ihre Bücher wurden in viele
verschiedene Sprachen übersetzt.
www.brigitte-endres.de
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