Eine verschwundene Braut, ein Sensenmann als Gondoliere, eine blinde Malerin, ein seltsames Zeichen an einer Mauer und ein geheimnisvoller Orden, Guido hat sich seine Hochzeitsreise nach Venedig dann doch etwas anders vorgestellt. Verzweifelt macht er sich gemeinsam mit seiner Schwägerin Ana Karina in den Wirren des Karnevals, der durch die engen Gassen der Lagunenstadt tobt, auf die fast aussichtslose Suche nach Christina Maria und stößt dabei auf eine uralte Legende. Ab 14 Jahren
Mystica Venzia gibt es im Buch- und Onlinehandel (z.B. Amazon) oder direkt beim Karina- Verlag.
Leseprobe
„Ich dachte immer, Hexen wohnen im Wald“, meckerte
Guido unzufrieden.
„Sei mal froh, dass sie hier in der Stadt wohnt und
wir nicht noch durch einen Wald kraxeln müssen, jetzt im Dunkeln“, zischte Ana
Karina verärgert zurück. Ergeben seufzend trottete Guido hinter seiner
Schwägerin her, die jetzt die alte Holztür öffnete und langsam die knarrenden
Stufen emporstieg. Im Flur roch es undefinierbar nach Essensresten, Schimmel
und angefaultem Holz. Das Haus hatte sicherlich auch schon bessere Zeiten
gesehen. Guido rümpfte angewidert seine Nase.
Natürlich
wohnte die Hexe ganz oben unter dem Dach. Wie konnte es auch anders sein?!
Guido
schnaufte und rang nach Luft. Doch dann fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf.
‚Wie eine
Kröte sieht er aus‘, dachte Ana Karina und grinste vergnügt vor sich hin. Die
Tür war aufgegangen, noch bevor sie klopfen konnten, und vor ihnen stand eine
wunderschöne Frau mit den faszinierendsten Augen, die Guido je gesehen hatte.
Das Blau schimmerte beinahe violett und stand im Kontrast zu den
kohlrabenschwarzen Locken, die ein faltenloses und fast markantes Gesicht wie
eine Mähne umrahmten.
,Die Hexe
trägt Jeans und eine weiße Bluse’, fuhr es Guido durch den Kopf.
„Kommt doch
rein, meine Lieben … Ana Karina, mein Herzblatt“, gurrte die Hexe freundlich.
Auf ihrer Schulter saß eine weiße Ratte und musterte die Gäste kritisch mit
ihren klugen Augen. Ana Karina umarmte Estrella stürmisch und streichelte dann
die Ratte.
„Na was ist,
junger Mann“, lachte die Hexe. „Willst du da Wurzeln schlagen?“
Drinnen
sagte sie belustigt:
„Die
Menschen denken immer, ich müsse weiße Haare, ein Kopftuch und eine schwarze
Katze auf dem Buckel haben. Aber ich habe schwarzes Haar und eine weiße Ratte.
Das haut die meisten erstmal aus den Pantinen. Darf ich vorstellen: Cinderella.
Mach einen Knix, altes Mädel.“ Genüsslich blies sie den Rauch ihrer Zigarette
durch die Nasenlöcher. Überall im Raum glimmten Räucherstäbchen. Guido hustete,
und die Ratte machte doch tatsächlich eine Bewegung auf Estrellas Schulter, die
fast wie ein Knix anmutete. Ana Karina grinste.
„Was führt dich zu mir, Kleines?“, fragte die
Hexe.
„Oh wartet,
ich bin eine schlechte Gastgeberin.“ Gemeinsam mit Cinderella verschwand sie in
der Küche und kehrte nach heftigem Geklapper mit einem Tablett, auf dem drei
dampfende Kaffeetassen, eine Zuckerdose, ein Milchkännchen und ein Teller mit
allerlei Gebäck standen, zurück.
„Und noch
eine irrige Ansicht“, sagte sie mit einem Seitenblick auf Guido.
„Wir stehen
nicht unbedingt alle auf Kräutertee.“
„Mein
Schwager ist übrigens der Ansicht, dass alle Hexen in einer Hütte im Wald
wohnen“, gluckste Ana Karina.
„Ja, wär
schön als Altersruhesitz, so eine schicke Hütte im Schwarzwald. Aber ich denke,
ich ziehe doch die Zentralheizung einem Ofen vor, und auch die
Einkaufsmöglichkeiten sind hier in der Stadt wesentlich besser.“ Sie zog die
Stirn kraus und ließ Cinderella über ihren Arm abwärts turnen.
„Aber nur
einen Keks, du bekommst sonst ein Bäuchlein“, sagte sie dabei streng. Zu Guidos
Entsetzen hüpfte die zierliche Ratte mit einem eleganten Satz direkt auf den
Tisch.
©byChristine Erdic
Autorenvita:
Christine Erdiç wurde 1961 in Deutschland geboren.
Sie interessierte sich von frühester Kindheit an für Literatur und Malerei und verfasste schon damals oft kleine Geschichten und Gedichte, die sie jedoch nie veröffentlichte.
Nach dem Abitur war sie in unterschiedlichen Bereichen tätig und reiste viel.
Seit 1986 ist sie verheiratet, hat zwei Töchter und lebt seit dem Millenium in der Türkei.
Unter anderem gab sie Sprachtraining an der Universität von Izmir, machte Übersetzungen und verfasste Berichte für die Türkische Allgemeine, eine ehemalige Zeitschrift in deutscher Sprache und gibt heute noch private Deutschstunden
homepage: http://christineerdic.jimdo.com/
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