Sonntag, 22. März 2020

Rowan - Flucht ins Sumpfland von Aileen O'Grian



Das Magierreich wird von einer unheimlichen Macht bedroht, Echsenkrieger und Drachen besetzen das Land. Deshalb soll der junge Magier Rowan seine Freunde Ottgar, Thronfolger des Magierreichs, und Mardok, Enkel des königlichen Waffenmeisters, in Sicherheit bringen, damit die zukünftigen Führer des Landes die Invasion überleben. Er selbst soll, gemäß den Wünschen seines Großvaters Obermagier Bunduar, seine Magierausbildung im Sumpfland fortsetzen.
Die Aufgabe erweist sich als schwieriger als gedacht, da die Feinde überall lauern und Ottgar mit seinem ungestümen Wesen lieber an der Seite seines Vaters kämpfen will, statt zu fliehen. Auch Rowan sorgt sich um seine Freunde im Ostreich, wo sich der Aufstand gegen König Kustin ausbreitet. Vor allem liegt Rowan die junge Heilerin Haiwa am Herzen, die ihm viel bedeutet und deren Leben in Gefahr ist.
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„Stopp, bleibt stehen!“, schrie da plötzlich ein Mann. Er erhob sich und stand weithin sichtbar auf dem Bergrücken. Sein Haar leuchtete rot vor einer schwarzen Wolke, die eine schwefelgelbe Umrandung hatte.
Rowan zügelte das Pferd.
„Wie ist die Losung?“ Ein zweiter Mann tauchte neben dem Rothaarigen auf und hielt seine Lanze wurfbereit.
„Ich weiß es nicht, aber ich bin ein Freund und möchte König Kustin sprechen. Ich bin Rowan, Enkel Bunduars vom Magierreich.“ Rowan gab sich Mühe seine Stimme vertrauensvoll und selbstbewusst klingen zu lassen.
„Ach, der Magier.“ Der Rothaarige lachte. „Was könnt ihr Magier schon erreichen?“
Rowan erkannte eine Ähnlichkeit zwischen der wurfbereiten Wache mit einem Pferdeknecht, den er an Kustins Hof gekannt hat. „Kranke heilen. Ich habe seinen Bruder damals von dieser Seuche befreit.“ Er deutete auf den Mann mit dem Speer.
„Meinen Bruder?“, fragte der gedehnt.
„Den Pferdeknecht Cholin.“
Der Mann ließ seine Lanze sinken. Er pfiff, kurz darauf erschien ein weiterer Wächter mit hochgebundenen Haaren und einen dichten Vollbart. „Bringt die beiden zum König, sie können nützlich sein. Pass gut auf sie auf“, befahl er.
Der langhaarige Mann kam mit großen Schritten auf sie zu, nahm Rowans Pferd am Zügel und führte es mit eiserner Hand, ohne sich darum zu kümmern, dass der Hengst kämpfte, um seinen Kopf freizubekommen.
Rowan ließ ihn gewähren, weil er ihn nicht verärgern wollte. Während Haiwa sich ängstlich an seine Arme klammerte, um nicht herunterzufallen.
Vor dem größten Zelt hielt der Mann an. Die hochgewachsenen Leibwachen kreuzten ihre Lanzen vor dem Eingang.
„Dieser Mann will zum König. Eindras meinte, die beiden könnten nützlich sein“, erklärte der Mann gleichgültig.
Die Leibwächter musterten Rowan misstrauisch. Rowan nickte freundlich, dabei versuchte er, ihnen gedanklich Vertrauen zu vermitteln.
„Ich bin Magier Rowan, der Enkel des Obermagiers Bunduar und Großenkel des Königs Mawuar. Ich muss dringend mit König Kustin sprechen.“ Er stieg vom Pferd und hängte Haiwa den Strohumhang um.
Neben den beiden Hünen fühlte er sich wie ein Zwerg. Er reichte den Männern nur bis zur Schulter.
„Der König hat heute Wichtigeres zu tun, als Scharlatane zu sprechen“, meinte der Ältere der beiden Leibwachen.
„Da kann jeder kommen“, fuhr der zweite fort.
„Wenn er mich nicht anhört, wird es sein Tod sein. Schlimmer noch, er wird euch alle in den Tod führen.“ Rowan sprach laut. Der König musste im Zelt jedes Wort verstehen. Tatsächlich öffnete sich der Eingang und ein Knappe wies die beiden Wachen an, Rowan hindurchzulassen.
Rowan schaute zum Himmel. „Es wird gleich anfangen zu schütten. Kann meine Begleiterin mit ins Zelt kommen?“
Der Knappe drehte sich um und wartete auf die Erlaubnis, dann wandte er sich wieder Rowan zu und nickte.
„Komm“, ermunterte er Haiwa.
Sie ließ sich vom Pferd gleiten und folgte Rowan ins Zelt hinein. Dort blieb sie neben den beiden Knappen am Eingang stehen.
„So, so, unser junger Magier. Wo kommst du plötzlich her und wo hast du die ganze Zeit gesteckt?“, fragte Kustin kühl.
Rowan spürte nichts mehr von dem einst so leutseligen Herrscher. „Ich musste zuerst unseren Kronprinzen in Sicherheit bringen“, antwortete er ruhig.
„Du behauptest, du hättest eine Idee, wie ich mein Reich retten kann?“ Der König schaute ihn herablassend an.
„Euer Reich und Euer Leben!“, erwiderte Rowan ernst und legte seine ganze Überzeugung in diese Worte.
Der König saß auf seinem Klappstuhl aus geschnitztem Holz, die Sitzfläche und Rückenlehne war aus gepunztem Leder. Er trug enge Hosen und ein Hemd, keine weiten Prunkgewänder, so war er bereit, die Rüstung anzulegen.
Rowan nickte, als er das sah.
„Ihr wollte zur Endscheidungsschlacht. Ihr meint, wenn Ihr den Vorteil des Geländes habt, siegt Ihr. Aber Prinz Hrodwal und Prinz Ranin haben nicht nur die Männer, die Ihr am Ufer lagern seht, sondern noch weitere Krieger im Wald an der Flussbiegung.“
„Das soll ich dir glauben?“ Erstaunt zog der König seine Augenbrauen hoch.
„Schickt erfahrene Späher dorthin, wenn Ihr mir nicht glaubt. Lasst sie den Wald umkreisen und von der anderen Seite zu Fuß eindringen. Sie müssen vorsichtig sein, damit sie nicht entdeckt werden.“
„So viel Zeit habe ich nicht.“ Der König machte mit seiner Hand eine wegwerfende Bewegung.
„Dann solltet Ihr mir glauben. Ihr wisst, dass Ihr mir, Bunduars Enkel, vertrauen könnt!“ Rowan sah Kustin eindringlich an. Er versuchte, in seine Gedanken einzudringen und ihn von der Wichtigkeit der Mitteilung zu überzeugen.
„Wie kann ich das? Schließlich bist du einfach geflüchtet, angeblich, weil Königin Narfin krank ist! Dein Meister ebenfalls und selbst die Hexen aus dem Gebirge sind weg. Ich glaube keinem Magier mehr“, stieß Kustin wütend hervor.
Rowan lachte bitter. „Ich habe Kronprinz Ottgar aus dem Kerker Eurer Burg Eichenfels befreit, in dem ihn Prinz Hrodwal und Prinz Ranin gefangen hielten.“
„Du lügst. Er war doch ein Getreuer meines Bruders.“ Der König schüttelt ungläubig seinen Kopf.
„Euer Sohn misstraut jedem, selbst so jungen, gutgläubigen Menschen wie den magianischen Thronerben. Wahrscheinlich wollte Euer Bruder, Prinz Hrodwal, Ottgar als Geisel behalten. Nachdem ich Ottgar aus der Gefangenschaft gerettet hatte, flohen wir ins Magierreich. Meine Aufgabe ist, unseren Thronfolger zu beschützen. Meister Wudon ist von Eurem Sohn gefangen und zu Tode gefoltert worden. Die Hexe Sidawa wurde von Eures Bruders Männern gefoltert und anschließend in ihrer Hütte verbrannt. Sie haben Euch nicht im Stich gelassen. Im Gegenteil …“ Nach einer Pause, in der er seine Wut und Trauer niederkämpfte, setzte er hinzu: „Leider, sonst würden sie noch leben.“
Er überließ es den Zuhörern, selbst Schlüsse zu ziehen, wer treu und zuverlässig war und wer nicht.
„Und wie könnt Ihr mir helfen?“ Diesmal sprach Kustin den jungen Magier erheblich höflicher als vorher an, als klammere er sich an den rettenden Strohhalm und wollte den Helfer nicht verstimmen. Der junge Magier unterdrückte seinen Ärger, die Höflinge im Ostreich hatten ihn von oben herab behandelt, selbst Kustin hatte meist nur die äußerste Höflichkeit gewahrt.
Rowan musterte ihn lange, so lange, bis der Herrscher unruhig auf seinem Reisethron hin und her rutschte.
„Die Hilfe ist an ein paar Bedingungen gebunden“, erklärte Rowan leise. Die Anwesenden mussten die Ohren spitzen, um ihn zu verstehen.
„Nennt sie!“, verlangte Kustin mit harter Stimme und versteinertem Gesicht.
„Ihr ernennt nach Eurer Rettung sofort Eure Tochter, Prinzessin Talin, zur Kronprinzessin, da Euer Sohn Ranin als Verräter dafür nicht mehr in Frage kommt. Prinzessin Talin hingegen ist klug, mutig und fähig, einst eine mächtige Herrscherin zu werden. Außerdem ist sie Euch treu ergeben. Es darf aber nicht nur eine Ernennung sein, sondern Ihr müsst sie auf ihr Amt gründlich vorbereiteten, sie in die Amtsgeschäfte einführen.“
„Dann ermordet sie mich!“, entfuhr es Kustin.
„Erst wart Ihr zu leichtgläubig Eurem Sohn und Bruder gegenüber, jetzt misstraut Ihr jedem – auch denjenigen, die Euch immer treu ergeben waren.“ Rowan schüttelte verständnislos den Kopf und fuhr unbeirrt fort. „Die zweite Bedingung ist, dass Ihr und später Eure Tochter dafür sorgt, dass Magier, Heiler und Hexen nicht nur ihrer Tätigkeit nachgehen dürfen, sondern auch die ihnen zustehende Anerkennung erhalten. Die dritte Bedingung ist, dass für die Stadt Kauffurt, die Prinz Hrodwal geplant hat, der Flusslauf nicht geändert wird.“
„Das geht nicht, erst wenn die Flussschleife mit einem Kanal abgeschnitten wird, gibt es Platz für eine befestigte Siedlung.“
„Dann sucht Euch einen geeigneteren Platz aus und befragt dazu einen Magier, der Euch beraten und mit dem Flussgeist sprechen kann.“
„Flüsse haben keine Geister, das ist Aberglaube“, spottete Kustin.
Rowan versteifte sich. Er hatte Mühe, seinen Ärger zu unterdrücken.
„Der nicht existierende Flussgeist ist bereit, Euch zu retten. Soll ich ihm mitteilen, dass Ihr die Bedingungen nicht billigt, weil Ihr sowieso nicht an ihn glaubt …?“
Auf ein Zeichen Kustins zog ein Knappe sein Schwert und hielt es Rowan an die Kehle.
Rowan schluckte, dann meinte er, während sein Kehlkopf beim Sprechen gegen die Klinge drückte: „Der Regengeist unterstützt seinen Bruder, den Flussgeist, daher hängen die vielen dunklen Wolken am Himmel. Bringt Ihr mich jetzt um, werden nicht nur Prinz Hrodwal und Prinz Ranin mit ihrem Heer ertrinken, sondern Ihr werdet vom Blitz erschlagen.“
Rowan war sich sicher, dass die Naturgeister seinen Tod dem König nicht ungestraft durchgehen ließen, zu sehr waren sie Bunduar verbunden. Wie zur Bestätigung dröhnte draußen ein lauter und langer Donner.
Der König fuhr zusammen. Leichenblass stammelte er: „G…g…gut, ich g…gehe auf deine Bedingungen ein.“
„Dann schwöre bei der Göttin Jaguar und Eurem Herrscherhaus, dass Ihr Prinzessin Talin zur Thronfolgerin ernennt, die Magier, Heiler und Hexen schützt und ehrt und dass der Fluss seinen Lauf selbst bestimmen darf.“
König Kustin saß zusammengesunken auf dem Reisethron, mit zitternder Stimme wiederholte er Rowans Worte und folgte dem Magier zu dem kleinen hölzernen Altar. Dort goss er heiliges Öl in eine Bronzeschale und entzündete es an der Glut, die in einer Metalllaterne gehütet wurde. Purpurrot flammte das Öl auf, der Rauch stieg hellrot steil nach oben und es duftete nach Rosen.
Rowan nickte zufrieden. Draußen rauschte der Wind und frischte immer stärker auf. Inzwischen peitschten die Zeltbahnen hin und her. Feiner Sand wurde ins Innere gedrückt. Ein Blitz erleuchtete die Umgebung taghell, der folgende Donner ließ den Boden erbeben.
Die Leibwachen flüchteten ins Zelt und brachten Rowans Habschaft mit. Sie kamen gerade rechtzeitig, um die Zeltstangen festzuhalten, die sich gefährlich im Wind bogen. Dann prasselte Regen herab. Er tropfte durch die Zeltwände. Wasser quoll vom Eingang herein. Fröstelnd zog Haiwa ihren Strohumhang dichter an sich heran. Ein Knappe reichte Haiwa ihr Gepäck und sogleich hängten sie und Rowan sich die Decken um.

Stundenlang tobte das Unwetter. Blitze schlugen in der Nähe ein. Es kühlte merklich ab. Pferde rissen sich los und galoppierten voller Angst durch das Lager, dabei zertrampelten sie zwei Zelte, die noch einigermaßen sicher gestanden hatten.
„Dein Wassergott bringt uns um, statt uns zu helfen“, grollte König Kustin.
Rowan schaute ihm ruhig in die Augen. „Ohne das Unwetter lägt Ihr und Eure Männer schon längst erschlagen in den Flussauen.“
Endlich ließ zuerst der Sturm nach, dann zog das Gewitter weiter. Der Abstand zwischen Blitz und Donner wurde immer größer. Der Regen wurde weniger und die Knappen liefen hinaus, um sich die Schäden anzuschauen. Sie blieben eine Weile weg. Die Leibwachen verharrten auf ihren Plätzen und beäugten Rowan misstrauisch, bevor sie endlich die Stangen wieder ausrichteten, das Wasser von den Zeltbahnen schüttelten und alles gründlich verschnürten.
Als einer der Knappen zurückkam, rief er schon von weitem: „Das feindliche Heer ist weg.“

Aileen O'Grian Was wäre wenn? - Fantasy als Spiel mit den Möglichkeiten
Seit Jahren schreibe ich aus Spaß am Phantasieren Märchen, Fantasy und
Science-Fiction und habe diverse Kurzgeschichten in Anthologien und
Literaturzeitschriften veröffentlicht.
Den Magier Rowan mag ich so gern, dass ich mir vorgenommen habe, eine
Romanreihe zu schreiben.
Leseproben von mir gibt es auf meinem Blog: http://aileenogrian.overblog.com/

Sonntag, 15. März 2020

Rowan - Verrat im Ostreich von Aileen O'Grian



Der jugendliche Magier Rowan ist mit seinem Freund Ottgar, dem Thronfolger des Magierreiches, ins Ostreich gezogen. Während Ottgar auf der Burg von König Kustin zum Ritter ausgebildet wird und am Hofleben teilnimmt, sitzt Rowan häufig in der Kammer seines Meisters und studiert in alten Schriften. Die beiden Magier müssen unbedingt ein Heilmittel gegen die Klauenfäule finden.
Noch nie in seinem Leben fühlte Rowan sich so unwohl, da Magier im Ostreich verachtet werden. So werden Rowans Warnungen vor Angriffen der Trolle und Zwerge auch nicht ernst genommen. Selbst als er eine Seuche, die die Bewohner der Königsburg und die Bauern aus der Umgebung heimsucht, erfolgreich bekämpft, steigt sein Ansehen kaum. Auch Ottgar, der unter dem Einfluss der ostianischen Prinzen steht, ist ihm fremd geworden – und sogar die Gefahr eines Aufstandes im Ostreich scheint seinen Freund nicht zu interessieren, bis es fast zu spät ist.

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 Leseprobe

„Es wird Zeit, dass wir zurückkommen. Heute Abend gibt es ein Fest, mit so reichlicher Beute habe ich nicht gerechnet“, rief König Kustin gut gelaunt. Er hatte sein Pferd neben Ottgar und Rowan gelenkt und ließ sich von den Jünglingen die Jagd auf die Wildschweine und die Tötung der Bären schildern.

   „Ihr habt Mut bewiesen“, lobt er leutselig. Dann wandte er sich an Rowan: „Ich hatte es für Übertreibung gehalten, als es hieß, du würdest ein tapferer Ritter werden. Aber du beherrschst den Umgang mit den Waffen besser als mancher erwachsene Krieger.“

„Dabei ist er nicht einmal Knappe!“, sprudelte Ottgar heraus.

„Zu meinem Bedauern benötigt Wudon Rowan. Wir müssen die Klauenseuche stoppen, bevor sie sich über mein gesamtes Reich ausbreitet und eine Hungersnot ausbricht. Es tut mir leid Rowan, ich würde dich gern als Knappen an meinem Hof haben.“

Rowan stimmte zu. „Ich würde gern mit den anderen Jünglingen lernen, aber mir fehlt noch so viel Wissen, bevor ich ein tüchtiger Magier werden kann.“

„Ich weiß.“ Der König nickte ihnen huldvoll zu und schloss sich der nächsten Gruppe an.

Ludah verzögerte den Schritt seines Pferdes, bis die beiden Jungen ihn eingeholt hatten. „Das war bedeutend aufregender, als ich erwartet hatte. Und ihr habt euch gut geschlagen. Rowan, ich werde mit Wudon sprechen, er soll dich wenigstens hin und wieder zu uns schicken, damit wir gemeinsam üben können.“ Dazu grinste er spitzbübisch. „Wir fangen gleich morgen früh an, bisher ist er nicht da und kann somit keine Einwände erheben.“

Rowan verzog sein Gesicht. „Ich muss in den alten Folianten der Burg nach einem Heilmittel suchen.“

„Zwischendurch brauchst du eine Pause, dann gelingt dir das Studieren der Bücher auch viel besser“, meinte Ludah.

„Versteht Ihr etwas von Büchern?“, fragte Ottgar erstaunt.

„Klar, ich lebte ein paar Jahre als Schüler im Kloster. Nachdem mein älterer Bruder gestorben war, holte mich mein Vater heraus und ließ mich erst bei Brodah als Page und später bei Herzog Loruw als Knappe ausbilden. Seitdem ich zum Ritter geschlagen wurde, lebe ich am Königshof.“

„Vermisst Ihr das Kloster?“, fragte Rowan.

„Manchmal. Allerdings liegt mir das Ritterleben mehr.“

Endlich erreichten sie die Burg. Die beiden Jungen führten ihre Pferde und zwei weitere der Ritter in den Stall, sattelten sie ab und versorgten sie mit Wasser und Futter.

Danach wuschen sie sich selbst am Brunnen, bevor sie den Rittersaal betraten. Die Gesellschaft saß schon an der Tafel und Knechte brachten die Speisen.

Rowan wollte sich wie üblich an das untere Ende setzen, doch Ritter Brodah forderte ihn auf, sich bei ihm niederzulassen.

„Du bist Bunduars Enkel, du gehörst zur Königsfamilie und nicht zu den unbedeutenden Leuten.“

Sie nahmen sich von den verschiedenen Speisen. Rowan aß sogar Fleisch, was er sonst meistens vermied. Aber der Tag war anstrengend gewesen und etwas Gemüse hätte ihn nicht gesättigt.

„Angeblich sollst du singen können“, meinte Chirah.

Ludah hörte das und schüttelte den Kopf. Was Rowan zu einem Grinsen verleitete. Eigentlich hätte Chirah inzwischen begreifen müssen, dass die Gerüchte über ihn stimmten. Fragend blickte Rowan den König an und da dieser nickte, begann er mit einigen magianischen Balladen und trug im Anschluss uralte ostianische Lieder vor.

Das Stimmengewirr im Saal legte sich, als sein heller, klarer Tenor den Raum erfüllte. Beifall brandete auf, sobald er endete.

„Du bist ein würdiger Großenkel der berühmten Jambin“, lobte König Kustin.

„Jambin hat die Geister und Elfen mit ihrem Gesang betört“, murmelte Brodah.

Ottgar und Rowan sahen ihn an.

„Kanntet Ihr unsere Urgroßmutter?“, fragte Ottgar.

„Ja, ich habe eine Weile auf Burg Wanroe gelebt. Sie war wunderschön, obwohl sie damals schon sehr alt war. Mit ihrer Stimme hat sie König Mawuar verzaubert, so dass er sie zu seiner Frau nahm.“ Die beiden Jungen fragten ihn aus und er erzählte bereitwillig von seiner Zeit auf Burg Wanroe.

Rowan bekam Heimweh. Würde er Wanroe je wiedersehen? Und seine Mutter und seinen Großvater?

Er ging früher als die anderen in seine Kammer, die er mit ein paar Knechten teilte, und schlief gleich ein. Als er am Morgen aufwachte, waren nur aus der Küche Geräusche zu hören. Die Hofgesellschaft ruhte noch. Rowan erhob sich leise, wusch sich rasch an einer Waschschüssel und schlich in die Studierstube. Dort entzündete er eine Öllampe und schaute sich um. Obwohl die Burg von König Kustin nur als Jagdsitz benutzt wurde, besaß sie eine kleine Bibliothek.

Er nahm das erste Buch heraus und blätterte darin. Es enthielt die Chronik von Eichenfels. Beim Blättern entdeckte er, dass die Burg in früheren Jahrhunderten der Königssitz gewesen war. Er schlug den nächsten Band auf. Hier waren die verschiedenen Geschlechter des Landes aufgeführt, er fand sogar seine Großmutter verzeichnet. Im dritten Folianten waren Lieder niedergeschrieben. Natürlich konnten in jedem dieser Bücher auch Hinweise zu Krankheiten stehen, doch Rowan wollte lieber mit einem Heilbuch anfangen, aber das gab es hier nicht. Darum hatte ihm Wudon wahrscheinlich seinen Folianten zum Studieren mitgegeben.

Vom Burghof ertönten Pferdhufe, die über das Pflaster klapperten. Er stellte das Buch zurück, löschte das Licht und sprang die Treppe hinunter.

Ludah wartete wie verabredet schon auf ihn am Brunnen, um Rowan das Kämpfen zu lehren. „Na du Langschläfer“, zog ihn der Ritter auf.

„Ich habe bereits die Bibliothek der Burg besichtigt. Prinz Jatain gab mir die Erlaubnis, die Studierstube zu benutzen.“

„Obwohl es noch dunkel war?“

Rowan nickte. „Ich habe vorerst auch nur im Lampenschein ein paar Schriften durchgeblättert und mir einen Überblick verschafft.“

„Wirst du hier eine Medizin finden?“

„Ich glaube nicht. Aber so tief bin ich nicht in die Bücher eingedrungen.“

Während des Gesprächs waren sie über den Burghof gelaufen. In der Vorburg übten sich ein paar Knappen im Kampf mit der Lanze.

„Dann wollen wir es ihnen nachmachen“, schlug Ludah vor.

Er gab Rowan Schild und Lanze und sie übten sich im Nahkampf mit der Lanze. Rowan erwies sich als überaus geschickt. Nur an Ausdauer mangelte es ihm.

„Ich bin nicht in Form. In den letzten Monden habe ich fast nur in der Studierstube gesessen“, beklagte er sich.

„Deshalb wird es höchste Zeit, dass wir mit dir üben.“

Später holten sie nach einer kurzen Vesper die Pferde und ritten mit der unter dem Arm eingeklemmten Lanze auf Strohpuppen los. Ludah gab Rowan Tipps und staunte, wie rasch der Jüngling sie umsetzen konnte.

„Ich hätte dich gern als Knappen. Ich habe noch niemanden gesehen, der so schnell lernt. Im Kampf scheinst du schon zu ahnen, was dein Gegner vorhat.“

Rowan verschwieg ihm, dass er das tatsächlich wusste. Nicht immer, aber häufig. Die meisten Menschen verrieten ihre Absicht mit ihren Augen. Außerdem gewahrte er es in seinem Inneren.

Gegen Mittag meinte Chirah: „Wir müssten die jungen Pferde bewegen. Wollte ihr mitkommen?“

Ludah schaute Rowan an und der nickte. Gemeinsam mit den übrigen Knappen und einigen Rittern sattelten sie die Pferde und führten sie aus der Burg hinaus.

„Nimm den Braunen“, meinte Chirah und reichte Rowan die Zügel eines lebhaften Hengstes. Rowan spürte gleich den Widerstand des Tieres. Es legte die Ohren an und tänzelte. Er sah aus den Augenwinkeln die Blicke, die sich ein paar der Knappen zuwarfen.

„Gib ihn lieber mir“, meinte Ludah leise. Doch Rowan schüttelte kaum sichtbar den Kopf. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf den Braunen und versuchte ihn mit seinen Gedanken zu erreichen. Das Tier hatte Angst. Die Burg, der Stall, die vielen Pferde und Männer beunruhigten es.

Rowan summte sanft ein Reiterlied. Der Hengst drehte die Ohren zu ihm. Sobald er die Aufmerksamkeit des Tieres erregt hatte, vermittelte er ihm gedanklich, dass es keine Angst haben musste. Es dauerte eine Weile, zuletzt stand es regungslos und vollkommen entspannt da. Rowan ließ die Zügel los, wendete sich ab und ging weg. Das Pferd folgte ihm. Schließlich blieb Rowan stehen, tätschelte es und stieg in den Sattel.

Die Männer murmelten erstaunt, so etwas hatten sie noch nicht gesehen. Der Hengst blieb weiterhin ruhig. Rowan konnte ihn problemlos mit seinen Schenkeln lenken.

Ottgar hatte mit seinem Wallach größere Probleme, doch auch er bekam das Tier in den Griff, allerdings scheute er ab und zu oder keilte aus.

„Ihr seid gute Reiter“, lobte Ludah.

„Wie machst du das, dass dir so ein lebhaftes Tier arglos folgt?“, fragte er Rowan schließlich, nachdem sie nach einem langen Ausritt wieder zurückkamen. Selbst das Klappern im Hof und der Ochsenkarren, der ihnen entgegenkam, ertrug der Braune.

„Ich spreche mit ihnen“, erklärte Rowan.

„Mit deinen Liedern?“

„Auch, aber mehr in Gedanken und vor allem mit der Körperhaltung. Pferde verständigen sich damit. Ich habe ihm gezeigt, dass ich sein Anführer bin und er keine Angst haben muss.“

„Kannst du es mir beibringen?“, fragte Ludah.

„Es gehört beharrliche Beobachtung dazu, um die Pferde zu verstehen und sich ihnen mitzuteilen.“

Da Ludah bereit war, ihn im Umgang mit den Waffen, vor allem der Lanze, zu schulen, erklärte Rowan ihm ein paar Verhaltensweisen der Pferde. Sogleich probierte es der junge Ritter an einer lebhaften Stute, die sehr scheu und noch nicht zugeritten war, aus.

Er besaß Beobachtungsgabe und Einfühlungsvermögen. Rowan hoffe, genug Zeit zu finden, um von Ludah zu lernen und ihn seinerseits zu unterrichten.


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