Klappentext:
Die sechzehnjährige Luzia Spengler lebt Ende des 15.
Jahrhundert in Paderborn. Seit sie im Alter von 13 Jahren von ihrer Ahnin Clara
und deren gefährlichem und ungewöhnlichem Leben erfahren hat, träumt sie davon,
eines Tages nach Würzburg zu reisen und auch die Burg Wiesenstein zu besuchen,
wo Clara eine Weile gelebt hat.
Doch zunächst verläuft ihr Leben in anderen Bahnen. Nach
einem Unfall, bei dem sie ihr Gedächtnis verliert, schließt sie sich einer Gruppe
Zigeunern an und reist mit ihnen durch das Land.
Die Reise der Zigeuner endet in Würzburg, wo Luzia das
Mädchen Madlen kennen lernt und gemeinsam mit ihr dem Verschwinden deren Mutter
nachgeht. Eine Katastrophe bahnt sich an…
Die Geschichte von Luzia, einer Nachfahrin der
Hexenschülerin, ist spannend und voller Wendungen. Sie ist geeignet für
Jugendliche ab etwa 12 Jahren und für Er-wachsene, die gerne in vergangene
Welten eintauchen.
Leseprobe aus Kapitel 3: Elsbeth
….
Die Druckerei war nicht allzu weit vom Marktplatz entfernt. Sie waren
noch nicht weit gegangen, als sie Stimmen hörten. Es klang, als hätten sich
viele Menschen versammelt. Wie beim Markttag, aber der war ja nicht spät
abends. Oder wie bei Vorführungen von Gauklern oder einer Theatergruppe. Doch
davon wüsste Luzia.
Und dann sahen sie in den dämmrigen Straßen der Stadt durch die
Häuserreihen hindurch einen Lichtschein schimmern.
Auch bei den Ablasspredigern waren viele Menschen versammelt, dachte
Luzia plötzlich und die Panik kroch sofort wieder in ihr hoch, als sie sich
daran erinnerte.
„Was ist da los?“, fragte sie leise. Luzia wusste instinktiv, dass das kein
gutes Zeichen war. Es war gruselig und unheimlich.
Auch Georg spürte es. Ihm war nicht wohl. Und er fühlte sich
verantwortlich für das junge Mädchen.
„Lass uns nach Hause gehen!“, sagte er entschieden.
„Bist du verrückt? Ich will wissen, was da los ist.“
„Das kann gefährlich sein, Luzia. Deine Mutter würde nicht wollen, dass
du dich in Gefahr begibst.“
„Wir leben in gefährlichen Zeiten“, antwortete sie wesentlich mutiger
als sie sich fühlte. Aber ein Zurück kam für sie nicht infrage. „Wir halten
uns einfach im Hintergrund.“
„Luzia, deine Eltern bringen mich um, wenn dir etwas passiert. Ich bin
älter. Und – und ich bin der Mann.“
Das Argument erregte Luzias Unmut. Die Herrschaft der Männer war dem
Mädchen sowieso ein Dorn im Auge, auch wenn ihr absolut bewusst war, dass so
nun einmal die gottgewollte Ordnung war. Oder – besser gesagt, die herrschende
Ordnung. Wer konnte schon wirklich wissen, was Gott selbst wollte.
Sie bekreuzigte sich und Georg nahm an, dass es wegen der unheimlichen
Vorgänge in ihrer unmittelbaren Nähe war. Aber in Wirklichkeit tat sie es wegen
ihrer eigenen frevelhaften Gedanken, die sie viel zu oft nicht unter Kontrolle
hatte. Seit sie die Tagebücher ihrer Ahnin gelesen hatte, war es sogar noch schlimmer
geworden. Auch Clara war ja eine Frevlerin gewesen.
Langsam setzte Luzia sich in Bewegung in Richtung des flackernden
Lichtscheins und der Stimmen. Georg folgte ihr wohl oder übel.
Endlich sahen sie es: Eine Menschenmenge, die auf dem Marktplatz
versammelt war. Fackeln, die den Platz und die Versammlung erhellten. Ihr
Flackern warf unruhiges Licht auf die Mauern der Häuser und tauchte den ganzen
Platz in ein gespenstisches Licht.
„Was ist hier nur los?“, fragte Luzia wieder.
Georg umfasste automatisch ihre Schultern. Er hatte das Gefühl sie
beschützen zu müssen.
Meine Güte, sie hatten doch nur nachsehen wollen, wo der Vater und die
Brüder blieben. Wo waren sie jetzt hineingeraten? Hier stimmte etwas nicht. Das
war keine friedliche Prozession oder Versammlung.
„Was geht hier vor?“, fragte er einen Passanten.
„Das weißt du nicht? Diese beiden Wanderprediger haben eine Hexe
ausfindig gemacht. Aber wer das ist, weiß noch niemand. Wir sind hier, um sie
zu sehen.“
„Eine Hexe?“
Der Mann nickte.
Luzia war wie erstarrt. Die Wanderprediger hatten eine Hexe ausfindig
gemacht? Oh mein Gott. Die Panik breitete sich in ihr aus. Sie fühlte, wie sie
ihren Rücken hinaufkletterte und sich ihres ganzen Körpers bemächtigte. Sie
konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ihr Herz klopfte wild, ihre Haut
kribbelte. Sie bestand nur noch aus Panik. In ihrem Denken, Fühlen, sogar in
ihren Gliedmaßen. Ihre Beine waren schwer und gehorchten ihr beinahe nicht
mehr. Aber nur beinahe. In Wirklichkeit bewegte sie sich schwerfällig weiter.
Und dann kamen sie. Eine kleine Prozession, angeführt von den beiden
Wanderpredigern. Luzia erkannte sie sofort. Pater Laurentius schritt stolz und
erhaben daher, sein junger Schüler Clewin wirkte dagegen etwas unsicher. Hinter
ihnen fuhr ein Karren und darauf hing in ihren Armfesseln eine alte Frau. Sie
war erschöpft. Strähnige, graue Haare hingen über ihren Rücken und über ihrem
Gesicht. Sie schien kaum etwas wahrzunehmen.
„Neiiiin!“, schrie Luzia.
„Sei still“, zischte Georg.
„Aber das ist Elsbeth, die Heilerin! Eine harmlose alte Frau, die nichts
anderes tut, als Kräuter zu mixen, um Wunden oder Kopfschmerzen zu heilen.“
Sie wollte nach vorne stürmen, aber Georg hielt sie fest.
„Wir müssen doch etwas tun.“
„Wir können nichts tun“, erwiderte Georg hart.
Luzia wunderte sich über seine Härte. Dieser Mann sah so nett und
sympathisch aus mit seinem hellen Haar und den strahlenden Augen. Wie konnte er
nur so hart sein?
„Sie ist eine harmlose alte Frau“, versuchte sie es erneut.
„Sie ist dem Tode geweiht. Willst du auch sterben?“, fragte er.
Nein, das wollte sie nicht. Aber sie wollte auch nicht, dass Elsbeth
starb, sie wollte nicht, dass sie gefoltert wurde, dass sie leiden musste.
„Lass uns gehen“, forderte er sie auf.
„Nein.“
„Was willst du hier?“
„Ich muss ihr helfen“, erwiderte Luzia vollkommen unvernünftig.
Wieder versuchte sie, loszustürmen. Gegen alle Vernunft. Aber Georg hielt
sie fest. Sein Griff war hart, sie konnte sich nicht daraus befreien.
Vollkommen widersinnig dachte sie, dass sie morgen sicher blaue Flecken haben
würde.
„Elsbeth!“, schrie sie entsetzt - ebenso wie manche andere Menschen um
sie herum auch.
„Was tust du hier?“, fuhr sie plötzlich eine Stimme von der Seite an. Sie
wusste nicht, wer es war. Sie hörte es kaum.
„Und wer bist du?“, fragte die Stimme ihren Begleiter.
Georg reagierte. „Mein Name ist Georg Gruner. Und wer seid ihr?“ Er
schaute in die Runde der drei Männer.
„Ich bin Wolfram Spengler und das sind meine Söhne Stephan und Anton. Und
das…“, er deutete mit der Hand auf Luzia, „…ist meine Tochter.“
„Gott sei Dank“, entfuhr es Georg in einem erleichterten Seufzer. Die
Verantwortung für das Mädchen war ihm abgenommen. Nun konnte der Vater
entscheiden.
„Ich komme aus Dringenberg mit Nachricht von eurer Nichte Gisela. Deine
Frau hat sich Sorgen gemacht, weil ihr noch nicht zurück ward. Deshalb sind deine
Tochter und ich losgezogen, nach euch zu sehen. Und wir sind mitten in dieses –
dieses Spektakel geraten.“
„Es ist abstoßend“, erwiderte Wolfram. „Aber ja, auch wir sind hierher
gekommen, als wir hörten, dass die Gefangennahme einer Hexe bevorsteht.“
„Aber – aber es ist Elsbeth“, heulte Luzia jetzt. Sie merkte überhaupt
nicht, dass ihr inzwischen Tränen die Wange hinunterliefen.
„Ja, damit haben wir auch nicht gerechnet. Die arme alte Frau.“
„Arme alte Frau“, wiederholte Luzia leise. „Kann man wirklich nichts tun?
Gar nichts? Sie hat doch nie jemandem etwas getan.“
„Wir können nichts tun. Außer, wir finden einen Weg, sie auf schmerzfreie
Weise zu töten, damit sie nicht noch mehr leiden muss. Aber wer soll das wagen?
Wenn man erwischt wird, wird man selbst gefoltert.“
„Was ist denn nur passiert?“
Luzia warf einen weiteren Blick auf den Karren. Elsbeth hing schlaff in
den Fesseln. Sie war doch sowieso schon alt und schwach. Sie konnte sich schon
gar nicht mehr selbst halten und schien das Bewusstsein verloren zu haben.
Welche Menschen konnten ihr noch mehr Leid zufügen?
„Lass uns gehen“, entschied Wolfram und schob seine Tochter aus dem
Trubel heraus. Georg folgte ihnen zusammen mit Anton und Stephan.
VITA:
Rotraud Falke-Held wurde 1964 in Bad Driburg geboren. Gemeinsam mit zwei
Schwestern wuchs sie in Dringenberg auf. Schon als Kind entdeckte sie die
Freude am Schreiben.
Doch zunächst absolvierte sie eine kaufmännische Ausbildung und kann auf
eine 20jährige Berufstätigkeit zurückblicken.
Im Jahr 2009 erschien ihr erstes Kinderbuch.
Heute lebt Rotraud Falke-Held mit ihrer Familie und der Hundedame Cacy in
Büren.
Mit der Trilogie „Die Hexenschülerin“ hat sich die Autorin den Traum
erfüllt, eine Geschichte zu entwickeln, die zur Entstehung ihres Heimatdorfes
Dringenberg spielt. Auch Luzias Weg aus „Die Erben…“ führt zumindest
kurzfristig wieder nach Dringenberg.
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