Sonntag, 28. Mai 2017

DAS GESTOHLENE GNADENBILD von Klaus Kurt Löffler

Klappentext: 
Max hätte nie daran gedacht, jemals an einer Wallfahrt teilzunehmen. Doch nun ist er dabei und hilft, den gelähmten Lazarus zur Wallfahrtskirche auf den Falkenstein hinaufzutragen. Das Gnadenbild des heiligen Wolfgang war nämlich in der Nacht aus der Pfarrkirche gestohlen worden. Max vermutet, dass sich die Täter unter die Pilger gemischt haben. Da einer der Träger ausgefallen ist, ergreift er die Chance, um undercover zu ermitteln. Er weiß nicht, worauf er sich einlässt. Denn die Kirchenräuber sind skrupellos und zögern nicht, den Jungen zu beseitigen, als er ihnen auf die Spur kommt. Hat Max die Schutzengel, die er zum Überleben braucht?
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Leseprobe:

Zehntes Kapitel: Auf Leben und Tod
Max hing mit dem Kopf nach unten in den Zweigen einer kleinen Fichte, die aus einer Felsspalte wuchs und seinen Sturz aufgefangen hatte. Das abgebrochene Gitter war weiter hinuntergestürzt. Der Junge hatte es nach endlosen Sekunden unten auf den Uferfelsen aufschlagen und dann ins Wasser hinabgleiten sehen.
Die Situation, in der er sich befand, war alles andere als erfreulich. Das war stark untertrieben. Wenn er ehrlich war, konnte er sie nur als verzweifelt bezeichnen. Unter ihm tat sich der Abgrund auf. Der Felsen stürzte mehrere hundert Meter senkrecht in die Tiefe, sodass an ein Hinabklettern nicht zu denken war. Nach oben lag die Kante des Abbruchs etwa zehn Meter höher. Ohne fremde Hilfe kam er dort nicht hinauf. Selbst ein geübter Bergsteiger hätte ohne Ausrüstung die Wand nicht bezwingen können. Und Max war in dieser Kunst nicht sonderlich bewandert.
Zum Glück wusste er seine Gefährten oben, die ihn nicht im Stich lassen würden. Dunkler beugte sich bereits über die Bruchkante und suchte nach dem Jungen. Als er ihn unverletzt an der Felswand hängen sah, war er sichtlich erleichtert. In Gedanken hatte er ihn wohl schon mit zerschmetterten Gliedern am Ufer des Sees liegen sehen. Er musste sich aber rasch davon überzeugen, dass man ohne Seil nichts zur Rettung unternehmen konnte. Er rief deshalb: »Halte aus, Junge, wir holen Hilfe! Es wird aber etwas dauern!« Dann verschwand er eilig.
Das hörte sich nicht gut an, dachte Max. Immerhin unternahm man etwas. Bis Rettung kam, musste er versuchen, seine Lage erträglicher zu gestalten. Zunächst galt es, sich aufzurichten. Seine Beine hatten sich im Astwerk verfangen und er hing rücklings mit dem Kopf nach unten. Er spannte die Bauchmuskeln an und schwang den Oberkörper empor, wobei er einen Zweig zu erwischen trachtete. Nach einigen Versuchen gelang das. Er konnte sich hochziehen und stand nun aufrecht mit dem Gesicht zur Feldwand.
Allerdings war das Manöver seinem Halt nicht gut bekommen. In der steilen Wand hatte die kleine Fichte keine tiefen Wurzeln schlagen können. Bereits beim Aufprall war sie etwas nach unten gerutscht. Das Aufrichten hatte zu einer weiteren Abwärtsbewegung geführt. Es knackte und krachte so, als werde sich der Baum im nächsten Moment ganz lösen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis …!
Max wagte nicht, daran zu denken. Doch seine Angst wurde von Sekunde zu Sekunde größer. Er war nicht weit davon entfernt, in Panik zu verfallen. Schon schossen seine Gedanken in wilder Folge durcheinander und fuhren Achterbahn. In seiner Not fing er zu beten an. Er rief erst alle Nothelfer, dann die Jungfrau Maria und zum Schluss den heiligen Wolfgang an, von dem er hoffte, dass er hier am ehesten zu erreichen war. Er gelobte für den Fall der Errettung, nicht früher zu ruhen, bis er das Gnadenbild und das Reliquiar den Dieben entrissen hatte.
Dann blickte er hoch. Aber was war das! Hatte sein Bitten geholfen? Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Ein Seil glitt die Abbruchkante herunter, wurde lang und immer länger und erreichte ihn schließlich. Er ergriff es mit beiden Händen und wartete darauf, dass er hochgezogen wurde. Aber es zeigte sich niemand. Also musste er den Aufstieg aus eigener Kraft bewältigen. Er überzeugte sich, dass das Tau hielt. Dann ging es los. Wie er sich abdrückte, rissen die letzten Wurzeln und die Fichte stürzte krachend in die Tiefe. Nun war er ganz auf das Seil angewiesen; sein Leben hing davon ab, dass er den Aufstieg aus eigener Kraft bewältigen konnte.
Arm um Arm zog er sich in die Höhe, wobei er sich darum bemühte, mit den Füßen von der Felswand Abstand zu halten. Von den wenigen Malen abgesehen, in denen ihn Micha zum Klettern gezwungen hatte, hatte er darin keine Erfahrung. Und die Strapazen des Krankentransports hatten ihn geschwächt. Die Handflächen waren mit Blasen bedeckt und brannten nun bald wie Feuer. Und die überanstrengten Arme wurden immer kraftloser.
Er hatte etwa die Hälfte des Aufstiegs geschafft, als er nicht mehr weiterkonnte. Er war gerade noch in der Lage, sich am Seil festzuhalten. Und das auch nicht mehr lange. Er schickte nochmals ein Stoßgebet zum Himmel empor. Dann schloss er die Augen, als könnte er damit der Wirklichkeit entfliehen. Aber das tröstende Schwarz, zu dem er Zuflucht suchte, blieb nicht lange. Leuchtende Spiralen tauchten auf, die sich um ihre Längsachse drehten, aber immer langsamer wurden. Eine Weile sah er verständnislos zu, bis ihm die Erleuchtung kam. Das war seine Lebenskraft. Noch wirbelte sie, aber nicht mehr lange. Sie durfte nicht zum Stillstand kommen. Wenn sie erlischt, würden seine Finger das Seil loslassen und ...!«
Ihr müsst euch drehen!, befahl er verzweifelt. Drehen, drehen und weiterdrehen! ... Ihr seid nicht müde! … Der Himmel gibt euch Kraft! … So ist es richtig!, lobte er dann, als die Spiralen sich wieder in Bewegung setzten. Ihr werdet schneller und schneller, bis das Blut heftig durch die Adern schießt! … Meine Kräfte wachsen! ... Ich werde stärker und stärker! ... Ich muss es schaffen! … Ich werde es schaffen! … Ich schaffe es!
Zu seiner Freude merkte er, dass der Appell Wirkung zeigte. Wärme begann seinen Körper zu durchströmen. Seine Muskeln entkrampften sich. Das Gewicht, das an seinen Händen hing, schien leichter zu werden. Er fühlte, wie Mut und Zuversicht zurückkehrten. Es war, als würde ihm ein Engel unter die Arme greifen und helfen, die letzten Kraftreserven zu mobilisieren.
Trotzdem wusste er, dass er seine Kräfte besser einteilen musste. Er entlastete die Arme dadurch, dass er seine Beine stärker auf der Felswand abstützte und den Körper aus den gebeugten Oberschenkeln hochdrückte. Das half. Hand vor Hand hangelte er sich weiter nach oben. Es ging langsam voran, aber es ging. Mit Freuden sah er, wie die Felskante mit jeder Handbreite näher und näher rückte. Schließlich - es schien eine Ewigkeit gewesen zu sein - war es endlich so weit. Mit einer letzten großen Anstrengung zog er sich auf das Felsplateau hinauf. Völlig ausgepumpt und erschöpft blieb er am Boden liegen und zitterte am ganzen Körper.

Klaus Kurt Löffler:



Als studierter Jurist war ich zuletzt als Vorsitzender Richter am Landgericht tätig. Nach meiner Pensionierung habe ich während eines Aufenthalts in St. Wolfgang am Wolfgangsee mit dem Schreiben von Jugendbüchern angefangen. Der Schauplatz und meine beruflichen Erfahrungen wollten es, dass es Detektivgeschichten wurden, in denen die Landschaft eine entscheidende Rolle spielt. Es steht bei mir aber nicht das Verbrechen, sondern das hinter ihm stehende Rätsel im Vordergrund. Denn meine Junior- Detektive lösen ihre Fälle mit Köpfchen.

  



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