Sonntag, 30. August 2015

DER LETZTE WERWOLF von Brigitte Endres



Klappentext:
Jäh werden Valentina und Phil in verstörende Ereignisse geworfen. Als sich ihr kleiner Hund in die Gruft des alten Adelsgeschlechts derer von Treuenstein verirrt, stoßen sie auf einen Sarkophag, der von der Skulptur eines wolfsähnlichen Hundes bewacht wird. Valentina entziffert die rätselhafte Grabinschrift. Zu ihrem großen Entsetzen, erwacht der weiße Marmor-Hund dabei zum Leben, und folgt den Geschwister nach Hause. Doch nicht genug damit! Am anderen Morgen finden sie statt eines Hundes einen verwirrten jungen Mann wieder, der sich nur mit Mühe an seinen Namen erinnert – Dorian. Dass der schöne Dorian aus einem anderen Jahrhundert stammen muss, bemerken die beiden bald an seiner altertümlichen Weise zu sprechen. Doch alles, was auf seine Herkunft hinweist, ist ein Amulett: eine Lilie mit zwei Halbmonden. Da Dorian sein Erinnerungsvermögen eingebüßt hat, machen es sich Valentina und Phil zur Aufgabe, das Rätsel zu lösen. Dabei stoßen sie auf eine düstere Familiengeschichte um Liebe, Tod, Schuld und Vergeltung.

Ein fesselndes Abenteuer um einen alten Familienfluch und die Kraft der Liebe.

Link zum E-Buch:
Das Buch erschien in der Erstauflage im Herder-Verlag und ist bereits vergriffen. Jetzt ist es als Kindle-Ebook wieder zu haben.

Leseprobe:
(Die Geschwister sind auf der Suche nach Herrn Bozzi, ihrem kleinen Hund, der sich beim Abendspaziergang im alten Schlosspark in einem kleinen Diana-Tempel verirrt hat.)

 „Hör mal! Warum hallt das so komisch?“, sagte Valentina, während sie mit spitzen Fingern Kletten von der klammen Jeans zupfte. „Irgendwie klingt es, als käme es aus einem Loch.“
Gemeinsam umrundeten sie das Bauwerk. Phil ging voraus und leuchtete sorgfältig den Sockel ab. „Sieh nur!“
Seine Schwester folgte dem Lichtschein zu einem Schacht, dessen verrostetes Gitter durchgebrochen war.
„Herr Bozzi?“ Valentinas Ruf wurde mit jämmerlichem Gejaule beantwortet. Sie stöhnte. „Shit! Er muss durch den Rost gefallen sein! Wie kriegen wir ihn da bloß wieder raus?“
„Dieser Hund ist eine einzige Landplage!“ Phil starrte düster auf die wenig einladende schwarze Öffnung im Boden, aus der modrige Luft nach oben quoll. „Von uns passt da keiner durch!“
Valentina zog ihren Bruder am Ärmel. „Komm mit, vielleicht lässt sich die Tür ja irgendwie öffnen!“
Phil stapfte ihr verdrossen nach. „Das glaubst du ja wohl selbst nicht.“
Wie zu erwarten, war die eisenbeschlagene Eichentür fest verrammelt. Soviel sie auch am Türgriff rüttelten, das Schloss hielt stand.
„Und jetzt?“ Valentina war den Tränen nah. „Hör doch nur!“
Herr Bozzi heulte in den höchsten Tönen.
Phil ließ den Strahl der Taschenlampe über die Wand streichen. „Es muss doch jemanden geben, der den Schlüssel hat. Vielleicht hängt irgendwo ein Schild mit einer Telefonnummer. – Du hast doch dein Handy dabei?“
Valentina nickte.
Tatsächlich fanden sie neben dem Eingang ein verrostetes Schild, dessen verwitterte Buchstaben kaum noch lesbar waren.
„Besichtigung derzeit wegen Baumängeln nicht möglich“, entzifferte Phil.
Valentina deutete auf den Querbalken des marmornen Türstocks. „Da steht noch was.“
„Irgendeine Inschrift“, sagte Phil. „Sicher nicht die Nummer der Schlossverwaltung.“ Der Lichtschein huschte weiter suchend über die Fassade.
„Warte!“ Valentina kniff die Augen zusammen. „Mensch, halt doch mal die verdammte Lampe ruhig!“
Phil tat, wie ihm befohlen, und starrte ebenfalls nach oben. „Sa…, salvete fortu-nae fi…, fil…, filii.“
Salvete fortunae filii“, wiederholte Valentina, die ein Jahr länger Latein hatte als ihr Bruder. „Das heißt: Willkommen Kinder des Glücks!“
Phil trat wütend gegen das Türblatt.
„Wie passend! Wenn wir nur willkommen wären.“
Fast gleichzeitig ertönte ein knarzendes Geräusch, so, als schöbe jemand einen Riegel zurück. Die Geschwister wichen zurück. Mit einem Donnerschlag sprang die schwere Tür auf.
„Wow!“ Phil fuhr sich durch die Haare. „Hab ich so fest dagegengetreten?“
„Ich …“ Valentina war kreidebleich. „Ich weiß nicht.“
„Egal, Hauptsache, wir kommen rein.“ Phil machte einen zögernden Schritt vorwärts. Steinern feuchte Luft umfing ihn. „Herr Bozzi?“ Seine bebende Stimme klang seltsam hohl.
Valentina kam ihrem Bruder auf weichen Knien nach. Beklommen standen sie in einer kleinen Halle, die, soweit sie sehen konnten, vollständig mit einem Mosaik aus bröckelnden Muscheln und Glasteilchen ausgekleidet war. Phil ließ die Taschenlampe kreisen. Dann blieb der Lichtkegel an der Decke hängen. Wie in Beton gegossen starrten sie nach oben. Im Zentrum prangte in spiegelnden silbernen Mosaiksteinchen …
„Das Symbol“, stieß Valentina aus.
„Die Mondlilie“, flüsterte Phil.
Dann schwiegen sie, aufgewühlt, verirrt in wirbelnden Gedanken, bis Valentina mit brechender Stimme sagte: „Was, was bedeutet das? Warum verfolgt mich dieses Zeichen?“
„Dich? – Nicht nur dich. Gestern Nacht …“
„Du hast es auch gesehen?“ Valentina rang um Atem. „Dieser Blitz, das Feuerwerk …“
„Also war es doch real!“, murmelte Phil.
„Real?“ Seine Schwester zog fröstelnd die Jacke um sich.
Herrn Bozzis Jaulen drang wieder zu ihnen durch und erinnerte sie an den Zweck ihres Hierseins.
Phil leuchtete auf eine Öffnung im Boden, Stufen führten in die Tiefe.
„Da runter?“ Valentina schnürte sich die Kehle zusammen.
„Komm, Herr Bozzi!“, rief Phil in die Gruft. „Wir sind hier.“
Valentina spähte ahnungsvoll in den schwarzen Abgrund. „Warum ist er nicht schon längst hochgelaufen?“
„Vielleicht hat er sich verletzt. Warte, ich geh und hol ihn!“
„Du lässt mich doch nicht etwa ohne Lampe hier stehen?“ Die Kiefer zusammengebissen, dass es schmerzte, folgte Valentina ihrem Bruder, der bereits die ersten Stufen in das ungewisse Dunkel genommen hatte.
Die Gruft, die das eigentliche Grab ausmachte, war nicht sehr hoch, doch hoch genug, dass man eben stehen konnte.
„Ein eigenartiges Grab“, raunte Phil. Mit scheuer Neugier betrachtete er den weißen Sarkophag in der Mitte des Raums, auf dem die lebensgroße Marmorskulptur eines Hundes ruhte.
Herr Bozzi stand auf den Hinterbeinen und leckte dem Steinhund winselnd die Pfoten.
Valentina atmete auf, als sie Isoldes Liebling offenbar unversehrt vorfand. „Herr Bozzi wird immer neurotischer, man könnte meinen, er hält den Steinhund für echt“, sagte sie und nahm ihn auf den Arm.
Phil leuchtete den marmornen Sarg ab. „Und da drin liegt also Amalia von Treuenstein.“
„Hör auf, das ist gruslig! Komm, wir geh'n!“
Aber Phil hatte eine Entdeckung gemacht. „Valentina, auf der Grabplatte steht was! Hör mal! – Nun Zeit …“ Er stockte.
Valentina setzte Herrn Bozzi, der sich auf ihrem Arm wie ein Aal schlängelte, ab und wandte sich der in die Grabplatte eingemeißelten Inschrift zu. „Nunc tempus faciendi, nunc tempus pugnandi“, las sie. „Jetzt ist Zeit zu handeln, jetzt ist Zeit zu kämpfen“, übersetzte sie mühelos.
Sie hatte kaum ausgesprochen, als etwas geschah, das sich für immer in ihre Erinnerung einbrannte.
Im Schein der Taschenlampe, den der weiße Marmor hell reflektierte, beobachteten sie fassungslos, wie die Skulptur allmählich ihre Stofflichkeit veränderte, wie dem Tier ein weißes Fell spross, wie es von Sekunde zu Sekunde mehr zum Leben erwachte, bis schließlich ein großer schneeweißer Hund vor ihnen lag, der – soweit sie sehen konnten – einem Husky ähnelte. Valentina zuckte zurück, als das Tier sich mit einem Mal streckte, gähnte und schwerfällig erhob.
Stumm zog Phil seine Schwester ein Stück zurück.
Jede Sehne gespannt, mit hoch aufgerichteten Ohren, hatte Herr Bozzi die Verwandlung verfolgt. Anders als seine menschlichen Freunde schien er nicht die geringste Furcht vor dem geheimnisvollen Artgenossen zu haben. Er begrüßte sein Erwachen schwanzwedelnd. Und als der große weiße Hund mit einem steifen Satz von der Grabplatte sprang, überschlug er sich fast vor Freude.
Valentina warf Phil einen verstörten Blick zu. „Allmählich zweifle ich an meinem Verstand“, sagte sie tonlos. „Ich könnte schwören, dass der Hund vorhin noch aus Stein war.“
Phil, der kein Auge von dem weißen Hund ließ, fuhr sich in einer ratlosen Geste durchs Haar. „Quatsch. Das ist unmöglich. Wahrscheinlich eine optische Täuschung. Es muss an dem schlechten Licht gelegen haben. Herr Bozzi hat ihn doch gewittert. Sicher hat ihn jemand hier eingesperrt.“
„Was für eine gemeine Tierquälerei!“ Valentina atmete auf. Phils fadenscheinige Deutung war wenigstens halbwegs plausibel. Dann holte sie tief Luft. „Ich will jetzt hier raus. Und zwar sofort!“
„Und der weiße Hund?“
„Der kommt mit. Wir können ihn doch nicht hier zurücklassen.“ Valentina bewegte sich langsam auf das Tier zu. Der Hund blickte sie aus hellblauen Augen verwundert an. Ein heiß-kalter Schauer lief ihr über den Rücken.
„Gefährlich scheint er jedenfalls nicht zu sein“, sagte Phil erleichtert. „Und Herr Bozzi mag ihn. Morgen bringen wir ihn ins Tierheim.


Vita:
Brigitte Endres hat Grundschulpädagogik, Germanistik und Geschichte studiert. Heute arbeitet sie als Kinderbuchautorin für Verlage in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie für den Bayerischen Rundfunk. Ihre Bücher wurden in viele verschiedene Sprachen übersetzt.  www.brigitte-endres.de

Sonntag, 23. August 2015

Die Hexenschülerin - die Zeit der Wanderschaft von Rotraud Falke-Held





Klappentext:

Im Jahr 1323 lebt die 14jährige Clara mit ihrer Familie in dem neuen Dorf Dringenberg. Clara hat eine gefährliche Gabe, sie ist hellsichtig und geriet deswegen bereits einmal in den Verdacht, eine Hexe zu sein.
Clara hat Träume, die sich mit dem strengen Rollenverständnis ihrer Zeit nicht vereinbaren lassen. Sie hat Lesen und Schreiben gelernt und träumt davon, ihr Heimatdorf zu verlassen. Sie möchte die Welt kennen lernen und eines Tages vielleicht sogar ihre große Liebe Gabriel wieder finden. Heimlich plant sie, sich bei dem nächsten Besuch der Händler dem Tross anzuschließen.
Doch dann bricht eine schlimme Grippewelle in dem Ort aus und Clara wird gebraucht. Aus Pflichtbewusstsein bleibt sie im Dorf.
Aber gerade dadurch gerät sie in große Gefahr.
Clara muss fliehen. Ihr Bruder Adrian hilft ihr, den Händlertross zu finden.

Währenddessen trennt sich in München auch Gabriel von seiner Familie und macht sich gegen Odilias Wunsch auf den Weg zurück nach Dringenberg. Er kann Clara einfach nicht vergessen. Auch vor Gabriel liegt ein gefährlicher Weg.

Die Hexenschülerin – die Zeit der Wanderschaft setzt Claras Lebensgeschichte fort, die mit dem Buch „Die Hexenschülerin - die Zeit des Neubeginns“ seinen Anfang nahm.
Die Geschichte ist spannend und temporeich erzählt. Sie ist besonders geeignet für Mädchen und Jungen ab 12 Jahren.

Erhältlich bei Amazon und BoD.

Leseprobe aus Kapitel 2: Besuch beim Medicus

Es fiel Clara schwer, Cäcilia allein zu lassen. Die alte Heilerin befand sich in einem Dämmerzustand. Clara flößte ihr die Medizin ein und versprach ihr, am Abend wiederzukommen. Aber sie war sich gar nicht sicher, ob Cäcilia sie überhaupt verstand.
Clara wollte bei ihr übernachten, denn die alte Frau war wirklich ganz allein.
Auch der Medicus ist allein, dachte sie, während sie durch die Straßen streifte.
„Geh nicht zum Medicus“, hörte sie Cäcilias Stimme. „Geh nicht zum Medicus. Wenn er eine Gelegenheit erhält, wird er dich erneut anklagen.“
Das wird er sicher nicht, dachte Clara. Er ist krank und ist be­stimmt froh, wenn sich jemand um ihn kümmert.
Aber er hatte Cäcilia den Mundschutz vom Gesicht gerissen. Nein, wenn Cäcilia nicht wollte, dass sie zu ihm ging, hatte sie sicher gute Gründe.
Aber die Alte hatte hohes Fieber. Wusste sie überhaupt, was sie redete?
Verdammtes schlechtes Gewissen. Was interessierte sie der Medicus? Er hatte Odilia gehasst und er hasste sie. Er hatte sich nicht nur an der Hexenjagd beteiligt, er hatte die Menschen sogar aufgewiegelt. 
Er war schlecht und gemein.
Wenn er eine Gelegenheit erhält, wird er dich erneut anklagen.
Aber sie wäre eine schlechte Heilerin, wenn er ihr gleichgültig wäre.
Ach verflucht, sie war überhaupt keine Heilerin! Sie wollte keine sein.
Sie richtete ihren Blick zum Himmel. „Verzeihung. Ich fluche, das steht mir nicht zu. Ich bin nur so entsetzlich durcheinander. Ich weiß nicht, wo ich hingehöre. Was ist mein Weg? Gib mir doch bitte ein Zeichen!“
Und dann stand sie vor dem Haus des Medicus. Sie war selbst überrascht darüber. Ihr Herz klopfte. Sie war tatsächlich hierher gegangen! Als hätte sie jemand geführt.
Sie klopfte an die schmale Holztür.
Keine Antwort.
Sie klopfte erneut.
Stille.
„Meister Medicus!“, rief sie.
Irgendetwas war da im Inneren. Ein Geräusch. Ein Krächzen.
Sie schob an der Tür. Sie ließ sich öffnen.
„Meister Medicus, ich bin es, Clara Schmied. Ich komme, um nach euch zu sehen. Darf ich?“
„Wo ist Cäcilia?“, antwortete eine schwache, krächzende Stimme.
„Sie ist ebenfalls krank. Ich komme gerade von ihr.“
Sie wartete jetzt nicht mehr auf die Erlaubnis, sie legte ihren Mund­schutz an und trat näher.
In seinem Bett fand sie den Arzt.
Der alte Mann wirkte noch dünner, als er sowieso schon war. Sein weißes Haar war strähnig und sein Bart etwas zu lang und struppig.
Der Geruch von Tod hing in der Luft.
Cäcilia hat recht, dachte sie. Hier kann man nicht mehr helfen. Clara erschauderte.
„Warum kommst du vermummt zu mir?“
Clara tastete instinktiv nach ihrem Mundschutz.
„Es ist ein Schutz gegen die Krankheit!“, antwortete sie ruhig.
„Es liegt nicht in deiner Macht, dich vor Krankheit zu schützen. Das ist allein Gottes Recht. Ob du krank wirst oder nicht, ist dein Schicksal. Nimm die Vermummung ab.“
Geh nicht zum Medicus.
Claras Herz schlug bis zum Hals. Wie gebieterisch seine Stimme klang, obwohl sie so schwach war. Sie musste allen Mut zusammen­nehmen, um zu antworten: „Das werde ich nicht.“
„Du bist eine gottlose Person.“
„Ich kam, um nach euch zu sehen, euch einen Tee zu brauen oder Medizin. Ich kam, um zu helfen. Das ist nicht gottlos.“
„Dein Gebräu will ich nicht. Ich traue dir nicht.“
Die Heftigkeit, mit der ihre Großmutter die Medizin von Odilia abgelehnt hatte, kam ihr in den Sinn. Obwohl sie zum Teil nicht anders war, als Cäcilias Kräuter. Allerdings benutzte Odilia manches als Hexenkraut. „Galgant hilft, sich aus Einengungen zu lösen.“ Und Alant half angeblich gegen Hexen und Dämonen.
Clara schüttelte sich. Daran wollte sie jetzt nicht denken. Manch­mal war Odilia sogar ihr unheimlich gewesen.
Jetzt schlug ihr die gleiche Ablehnung entgegen. Warum war sie nur hierher gegangen?
Geh nicht zum Medicus.
„Wenn du nicht unter dem Schutz des Bischofs gestanden hättest, dann…“ Der Medicus hielt inne. Er atmete schwer. Aber husten tat er nicht.
Es hustete überhaupt niemand. Diese Krankheit war keine Krank­heit der Bronchien oder der Lunge wie bei ihrem Großvater.
„Ich würde dich wieder anklagen. Dich, eine Hexenschülerin.“
Wenn er eine Gelegenheit erhält, wird er dich erneut anklagen.
„Ich würde dich wieder anklagen. Dich, eine Hexenschülerin.“
Wenn er eine Gelegenheit erhält, wird er dich erneut anklagen.
„Odilia ist keine Hexe.“
„Nun bist du selbst die Hexe.“
„Das bin ich nicht.“
„Was ist mit Cäcilia? Warum kommt sie nicht?“
„Ich sagte es schon. Sie ist krank. Sie ist auf der Straße zusammen­gebrochen. Ich habe sie nach Hause gebracht und ihr Medizin gegeben.“
„W…was?“ Der Alte versuchte hektisch, sich im Bett aufzu­richten. „Was hast du mit ihr gemacht? Du hast sie verzaubert, nicht wahr? Du…“
Er fiel entkräftet zurück in die Kissen.
Clara konnte nicht antworten. Sie starrte ihn ein paar Sekunden lang mit weit aufgerissenen Augen an. Dann drehte sie sich unver­mittelt um und lief aus dem Haus. Im Laufen riss sie ihren Mund­schutz ab.
Sollte er doch ohne Linderung durch einen fiebersenkenden Tee oder eine Schmerzmedizin in seinem Bett liegen bleiben, bis der Tod kam. Sollte er doch allein bleiben. Sie würde nicht noch ein­mal dieses Haus betreten. Warum hatte sie nur nicht auf Cäcilia gehört! Er wollte ihre Hilfe ja gar nicht.
Sie rannte, bis sie völlig außer Atem war.


aus Kapitel 12: Unterwegs mit dem Bader

Der Wirt kannte ihn, Gabriel selbst hatte ihm eine Wunde am Arm be­handelt. Er war unter den wartenden Leuten vor dem Wagen gewesen, als er mit dem Bader wegen der rostigen Zange ge­stritten hatte.
„Was machst du denn hier?“, rief er Gabriel entgegen. „Darfst du heute allein in die Stadt?“
Gabriel schüttelte den Kopf. „Ich habe den Bader verlassen. Es war nicht mehr zum Aushalten.“
Der Wirt lachte und hielt sich dabei den dicken Bauch.
„Gott sei Dank! Ich habe doch gemerkt, wie der Bader dich behan­delt hat, Junge. Wenn du von dem fort willst, bist du bei uns will­kommen.“
„Warum geht ihr nur alle zu ihm, wenn ihr doch bemerkt, wie garstig er ist?“, fragte Gabriel verwundert.
„Wenn ein Bader ankommt, weiß man doch vorher nicht, wie er ist, nicht wahr? Das erlebt man erst, wenn man dort ist. Wir waren alle sehr erschrocken, glaub mir. Aber jetzt denk nicht drüber nach. Iss dich erstmal satt und dann bekommst du ein schönes Zimmer. Es ist nicht groß, aber du hast ein Dach über dem Kopf und ein richtiges Bett.“
„Ich habe aber nicht viel Geld“, sagte Gabriel. „Eine Suppe muss reichen.“
Der Wirt zwinkerte ihm zu und wies ihm einen Tisch in der Ecke zu. Es dauerte nicht lange, da brachte er ihm eine dampfende Schüssel Suppe und sogar ein Stück Braten und Brot.
„Keine Sorge. Das geht auf die tanzende Henne.“
Gabriel sah ihn dankbar an. Hungrig riss er ein Stück Brot ab und tunkte es in die Suppe. Ah, sie war heiß und deftig. Wunderbar.
Und wenn das Zimmer so sein würde wie die Gaststube konnte er sich glücklich schätzen. Es war hier nicht vornehm – wirklich nicht - aber sauber und gemütlich.
Er begann sich zu entspannen. 
Er begann das Glück zu fühlen, den Bader losgeworden zu sein. Sicher saß der jetzt schon auf dem Bock seines Wagens und gondelte zum nächsten Ort.
Aber gerade, als er es genoss, wie die heiße Suppe seine Kehle hinunterfloss, stürmte eine Gruppe Bewaffnete in die Gaststube.


Rotraud Falke-Held wurde 1964 in Bad Driburg geboren.
Schon in der Grundschulzeit entdeckte sie die Freude am Schreiben.
Doch zunächst absolvierte sie eine solide kaufmännische Ausbildung und kann heute auf eine 20jährige Berufstätigkeit zurückblicken.
Nach der Geburt ihrer Kinder - in den Jahren 2000 und 2001 – gab sie ihre Berufstätigkeit auf. Sie begann, sich spannende Geschichten auszudenken – zunächst nur für ihre eigenen Kinder.
2009 erschien ihr erstes Kinderbuch „Der kleine Bär Tapp“ im Monolith Verlag.
Seither sind einige Kinder- und Jugendbücher von ihr erschienen, altersmäßig wachsen die Geschichten mit dem Alter ihrer eigenen Kinder.
Rotraud Falke-Held lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern und der Hundedame Cacy in Büren.

Sonntag, 16. August 2015

Rauklands Sohn von Jordis Lank



Band 1 der Raukland-Trilogie

Rauklands Sohn
Ronan ist Sohn des Königs von Raukland. Sein Vater ist der mächtigste Herrscher im Nordmeer: ein machtgieriger Mann, der sein Land von einem Krieg in den anderen führt. Ronan hat nie gelernt, das infrage zu stellen: Freundschaften sind ihm unbekannt und die einzige Liebe, die er kennt, gilt seinem Schwert. Doch dann fällt Ronan in Ungnade und wird auf die nordische Insel Lannoch verbannt. Das Eiland muss er einnehmen oder er verliert den Thron. Mit Waffengewalt ist das aussichtslos: Ronan braucht nicht nur einen Freund an seiner Seite, er muss auch die Achtung der Prinzessin von Lannoch gewinnen. Wie man das anstellt, kam in seinem Schwerttraining jedoch nicht vor.

Die Bücher gibt es als E-Book und Print in allen Online-Shops und Buchhandlungen und signiert auch bei der Autorin (Kontakt: http://www.jordis-lank.de/kontakt/)
Amazon und Thalia (...)

Leseprobe  - Kapitel 1 aus Rauklands Sohn

„Was hast du getan?“
  Der Schrei trieb durch seine bleierne Müdigkeit. Ein Schatten wuchs über ihm, Hände krallten sich in sein Haar und rissen seinen Kopf zurück.
  Der Schatten war sein Vater.
  Ronans Herz pochte so wild gegen seine Rippen, dass es schmerzte. Er konnte sich nicht rühren, es war, als läge eine tonnenschwere Felswand auf ihm. Nichts ergab einen Sinn.
  Sein Vater schlug ihm ins Gesicht. „Du bist betrunken!“
  Nein, das nicht. Niemals.
  Die Erinnerung an die letzten Stunden war dennoch fort.
  „Wie ein Bauerntölpel hast du dich von diesem Mädchen abfüllen lassen! Hast du nicht ein einziges Mal daran gedacht, dass Bellingor sie dafür bezahlt hat?“
  Noch ein Schlag ins Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite. Alles war verschwommen. Er lag in seinem Zelt. Hinter seinem Vater stand Jasimo, ein Schwert in der Hand. Getrocknetes Blut klebte in seinem Haar.
  Die Schlacht gegen König Bellingor! Im Morgengrauen hätten sie auf dessen Heer stoßen sollen. Es war taghell.
  O Himmel ...
  Vater schüttelte ihn. „Ein Viertel der Männer hat uns deine Dummheit gekostet! Bellingor hat uns überrannt! Und warum? Weil der Hinterhalt, den wir für ihn erdacht hatten, gar nicht existierte! Wieso existierte er nicht, Ronan?“
  Sein Magen zog sich zusammen. Ein leiser, krächzender Laut kam aus seiner Kehle. Er war derjenige, der die Männer an den Ausgang der Tsorsa-Schlucht hätte führen sollen, in den Rücken von Bellingors Heer. Stattdessen war er immer noch hier. Ronan wälzte sich zur Seite und erbrach. Sein Magen war eine flammende Kugel und er rang krampfhaft nach Luft, die Hände gegen die Brust gepresst. Gott, war ihm schlecht.
  „Bringt mir Zhodan!“, schrie Vater.
  „Sofort, mein König“, kam die Antwort.
  Ronan schloss die Augen.
 
*
  Sie brachten ihn nach draußen. Er versuchte zu gehen, aber er konnte es nicht. Also packten sie seine Hände und Füße und schleiften ihn über den Boden. Auf einem freien Platz ließen sie seinen Körper fallen.
  Langsam, ganz langsam legten sich die Nebelschleier in seinem Kopf. Er lag in der Mitte eines Feldlagers, unweit einiger kleiner Feuer. Mehrere Dutzend Pferde standen mit hängenden Köpfen da, gesattelt und gezäumt, die Leiber dampfend. Dahinter Zelte, eine ganze Stadt davon. Über dem Größten wehte die Flagge Rauklands.
  Eine Handvoll Männer bildete einen Kreis um ihn, weitere kamen hinzu. Blut klebte an Händen und Kleidern, trocknete auf den metallenen Ringen der Kettenrüstungen. Die Blicke der Umstehenden sprachen Bände. Da lag er bäuchlings zu ihren Füßen: der Sohn des Königs, siebzehn Jahre alt, jünger als die meisten von ihnen. Der Einzige, der hier im Lager von dem geheimen Hinterhalt gewusst hatte. Heute Morgen hätte er einen Teil des Heeres an die Tsorsa-Schlucht führen müssen, und er hatte es nicht getan. Dass es Tote und Verwundete gegeben hatte, war seine Schuld. Königssohn hin oder her, es wurde Zeit, dass jemand für die verlorene Schlacht bestraft wurde.
  An den Halmen vor seinen Augen hingen Tautropfen. Ronan wollte sie vom Gras lecken, um das saure Brennen in seinem Hals zu lindern. Warum war ihm so elend?
  Nachdem der Trupp seines Vaters vorausgeritten war, um vor Bellingors Heer zu gelangen, war es im Lager ruhig geworden. Nur dann und wann kam ein Bote. Die meisten Männer schliefen, und er hatte sie schlafen lassen. Mit Jasimo hatte er vor seinem Zelt gesessen. Und dann? Da war kein Mädchen gewesen. Keines, an das er sich erinnern konnte.
  Der Boden erzitterte unter stampfenden Pferdehufen. Die wenigen erbeuteten Tiere wurden mit dem Zeichen Rauklands gebrandmarkt. Ein Schimmel bäumte sich in den Seilen, die seinen Kopf hielten, aber es nützte ihm nichts. Noch während das Pferd die Männer umherzerrte, zwang einer von ihnen das glühende
Eisen auf das weiße Fell. Der Schimmel schrie.
  Der Geruch von verbrannten Haaren wehte herüber. Ronan drehte den Kopf, bemüht, den erdigen Geruch des Grases einzuatmen. Ein Schatten fiel auf ihn.
  „Ronan.“
  Zhodan kniete sich an seine Seite. Der ältere Mann blickte auf ihn herab. Das lange Schwert an seiner Seite berührte das taubedeckte Gras. „Was, zum Teufel, ist in dich gefahren?“ Eine ungewohnte Schärfe war in seiner Stimme.
  „Weiß nicht“, flüsterte Ronan. Es tat weh zu sprechen, aber Zhodans Blick schmerzte noch
mehr. Dachte er etwa, es wäre Nachlässigkeit gewesen, die seinen Schüler in diese Lage gebracht hatte?
  Zhodan setzte einen schlanken Krug ins Gras.
   Ronan schob die Arme unter die Brust. Verständnislos betrachtete er erst den Krug, dann den Mann neben ihm.
  „Du bist betrunken“, sagte Zhodan.
  Nicht auch noch er!
  „Nein! Bin ich nicht ...“
  Zhodans Augen wurden schmal. „Der Krug dort lag neben deinem Lager. Deine Decke ist mit Wein besudelt. Ebenso, wie du es bist!“
  Ronan schlug mit dem Kinn ins Gras, als Zhodan seinen Arm verdrehte und ihm den Stoff seines Hemdes ins Gesicht presste. Süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Er warf den Kopf zur Seite und würgte. Tief aus seinem Inneren loderte Furcht empor. Die Nacht fehlte in seiner Erinnerung. Alles war unwirklich, fremd. Er selbst war sich fremd. Niemals in seinem Leben war er so betrunken gewesen, dass er nicht mehr wusste, was er getan hatte!
  Er presste eine Hand an seinen Hals und holte zitternd Luft. Der Mann, der seit seinem fünften Lebensjahr sein Lehrmeister, Begleiter und oft genug sein Beschützer gewesen war, beugte sich vor und berührte seine Schulter.
  „Sie bereiten den Pflock vor.“
  Ronan schloss die Augen. Er hatte es geahnt.
  Zhodans Hand drückte leicht zu. „Du bist stark. Du wirst es hinter dich bringen ...“
  Die letzten Worte hörte Ronan kaum, denn Zhodan wurde zur Seite gestoßen und Vater nahm seine Stelle ein. Eiserne Beinschienen umschlossen seine Unterschenkel wie Stiefelschäfte, der Harnisch aus Kettengeflecht fiel bis zu seinen Knien. Leinenstoff spannte sich darüber, feucht von Erde und Blut. Sein weißblondes Haar hing ihm auf die Brust, die Augen, hell und stechend, brannten vor Zorn.
  Azel Carinn, der König Rauklands.
  Reglos lag Ronan zu seinen Füßen. Er wagte nicht zu blinzeln, denn mit jedem Herzschlag pulsierte der Zorn an der Halsseite seines Vaters.
Stumm sahen sie einander an. Es gab nichts zu sagen. Er hatte eine Strafe verdient. Kein Wort der Entschuldigung würde daran etwas ändern. Dazu kannte er seinen Vater zu gut.
  Azel über ihm stieß einen verächtlichen Laut aus. Mit einer abrupten Bewegung erhob er sich. Nur die Stiefel blieben in Ronans Blickfeld zurück.
  „An den Pflock mit ihm!“
  Jubelrufe erhoben sich aus den Reihen der Männer. Ein ganzes Dutzend kam herbeigelaufen, um ihn an einem Fichtenstamm zu zerren. Dieser war der Mittelpunkt einer Zeltkonstruktion, deren Stoffbahnen nun eilig entfernt wurden. Straff gespannte Befestigungsseile verliefen vom Boden bis zum oberen Ende des Stammes. Die Männer stießen ihn gegen den Pfahl und banden seine Hände hoch über dem Kopf zusammen. Erleichterung durchflutete Ronan. Er würde nicht auch noch darum kämpfen müssen, aufrecht stehen zu bleiben.
  Sein Publikum hatte sich in zehn Schritten Entfernung zu einem Halbkreis formiert. Schräg hinter Ronan stand Vater, eine Hand auf dem Knauf seines Schwertes. Erwartungsvolle Stille senkte sich über das Lager.
  „Zwanzig!“, rief Vater.
  Die Menge johlte, und Ronans Herz sank.
  Er spürte Vaters Blick auf sich, aber er wollte ihm nicht die Genugtuung geben, den Schrecken zu zeigen, den ihm diese Ankündigung einjagte. Sein Kopf war wieder klar, doch bald würde er sich wünschen, dass wäre nicht der Fall. Zwanzig Hiebe waren eine grausame Strafe, und in seinem Zustand hatte er kaum Aussicht darauf, die Tortur durchzustehen. Er versuchte, nicht daran zu denken. Seine einzige Hoffnung war, felsenfest auf sich selbst zu vertrauen.
  Mit den Fingern umfasste er das Seil, das seine Arme nach oben zwang. Jemand zerriss sein Hemd, sodass sein Rücken frei lag. Der Wind strich kühl über die feuchtgeschwitzte Haut.
  Die Rute berührte ihn leicht.
  Der Mann, der sie hielt, zeigte ein schmales Grinsen. Er bog den Zweig zu einem Halbkreis, um zu demonstrieren, wie flexibel sein Instrument war. Das Ende war daumendick, die andere Seite, die in seine Haut schneiden würde, sorgfältig von Rinde befreit. Es zischte, als die Rute neben ihm durch die Luft schnitt. Das Geräusch jagte einen Schauer über seinen Rücken.
(...)




Autorenvita

Schon als Kind hat Jordis Lank Romane weitergeträumt, wenn sie enttäuscht war, dass sie zu Ende waren. Wie oft hat sie sich gewünscht die Figur sein zu können, von der sie da las! Bis sie merkte, dass das Schreiben ein noch viel intensiveres Erlebnis ist als das Lesen. Manchmal, wenn alles passt, wenn sich die Geschichte auf einmal von selbst schreibt und die Charaktere Dinge tun, von denen man zwei Sätze vorher noch nichts wusste, dann - so sagt sie - verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit - und man ist wirklich mitten drin: Ein einzigartiges, großartiges Gefühl, das süchtig macht.

Raukland-Trilogie bei Facebook: https://www.facebook.com/pages/Raukland-Trilogie/117095771804047

Sonntag, 9. August 2015

Nele von Tine Sprandel


Quick, quick, slow – Tanzclub Lietzensee

Klappentext:

Die ehemalige Turniertänzerin Nele lässt ihre Terrassentür immer offen. Wegen der Katzen. Ihr Lohn von dem kleinen Putzjob im Tanzclub Lietzensee reicht kaum für sie und ihre beiden Söhne, schon gar nicht für eine Katzenklappe. Eines Nachts überrascht sie einen Mann in ihrer Gartenecke im Hinterhof in Berlin-Prenzlauer Berg. Er gibt vor, seine eigene Katze zu suchen. Doch sie hält ihn für einen Dieb. Worauf ist er aus? Auf ihre goldenen Tanzschuhe oder auf ihr Herz?

„Es ist auch ein Krimi. Ohne Leiche, aber mit Diebstahl“ (Lesermeinung)




Als Taschenbuch: amazon
Als E-Book: amazon, smashwords, thalia, hugendubel, weltbild, itunes, kobo, google play, und andere.

Leseprobe:
Nele Dorfen ließ die Terrassentür immer einen Spalt weit offen. Auch nachts. Obwohl sie wusste, dass es gefährlich war. Man macht das nicht, wenn man im Erdgeschoss mit Hinterhof am Prenzlauer Berg wohnt. Sie tat es wegen der Katzen. Mimi und Motzo trieben sich die ganze Nacht draußen herum. Am frühen Morgen kehrten sie zurück und kuschelten sich auf Neles Bett. Die warmen Körper zu ihren Füßen retteten Nele in den Tag.
 Mimi war eine graumelierte Schönheit. Ihr Fell glänzte von dem reinen Futter, dass sie bekam. Wenn Nele kein Geld mehr hatte, kochte sie das Futter mit dem Gemüse von der „Tafel“ selbst. Nele hatte meistens kein Geld mehr.
 Motzo, die eigentlich auch hätte grau sein sollen, zeigte immer mehr ihre siamesischen Vorfahren. Das gescheckte Muster auf dem Fell gefiel Jasper, dem jüngeren von Neles beiden Söhnen, besser als das von Mimi.
Er jagte die Katzen gerne, er kuschelte mit ihnen und erdrückte sie dabei fast. Marlon, der ältere Sohn, der schon sieben war, ging ruhiger mit den Tieren um. Bedächtig, wenn überhaupt. Er las lieber und guckte Fernsehen.
Nele schaute noch einmal ins hintere Zimmer, in dem die beiden Söhne schliefen. Sie zog Jasper die Decke, die er im Schlaf herunter strampelte, wieder bis zum Hals hoch, strich Marlon über die Stirn und löschte das Licht.
Sie zog sich ihre Schlafleggins an und schlüpfte in ihr eigenes Bett. Ein Sofabett im Wohnzimmer, das sie jeden Morgen einklappen musste, wenn sie etwas Platz haben wollte. Oft fehlte ihr die Zeit dazu und die Lust.
Das schlechte Gewissen wegen der offenen Terrassentür nagte wie jeden Abend vor dem Einschlafen an ihr. Aber das Fenster im Zimmer der Jungs ging zur Straße hinaus. Die war zu laut, um es offen zu lassen. Kaputt vom Alltag schlief Nele trotz schlechten Gewissens schnell tief und fest.
In dieser Nacht wachte sie auf. Sie begriff nicht, was sie geweckt hatte. Alles war still. Aus dem Zimmer der Jungs drang kein Laut. Sie husteten nicht, kein Alptraum plagte sie und sie stritten nicht. Nele rollte sich zur Seite und zog die Decke bis über die Ohren. Noch kein Morgen. Weiterschlafen. Herrlich.
Da hörte sie es draußen im Hof knacken. Ein lauteres Knacken, als Tiere hervorbringen, wenn sie durch die Sträucher schleichen. Ein lauteres Knacken, als der Wind verursacht. Eine Folge von Schritten. Nele richtete sich senkrecht in ihrem Bett auf. Aufstehen und rausschauen? Ein scharrendes Geräusch. Ein Ploppen, wie wenn jemand nach einem kleinen Sprung auf der weichen Erde landet. Nele huschte zur Terrassentür und sah einen Mann.
Dunkle Jacke, dunkle Haare, dunkles Gesicht. Ein Mann mit breiten Schultern stand in ihrer Gartenecke.
Zwischen schweren Tontöpfen hatte sie ihren Freiraum mit ausrangierten Zaunelementen vom Rest des Hinterhofs abgetrennt. Sie brauchte die Begrenzung, damit ihre Jungs, als sie noch kleiner waren, nicht ständig davonliefen. Jetzt liebte sie diesen Hauch eines eigenen Gartens mitten in der Großstadt.
Der Mann war viel zu nah für einen unbescholtenen Hinterhofbesucher. Sie riss die Terrassentür auf und schrie: „Was machen Sie da?“
Er fuhr mit einem Satz herum und starrte sie an.
„Ich ...“
„Wie können Sie mich so erschrecken? Sie riskieren, dass ich einen Herzschlag bekomme!“
„Ich suche meine Katze“, stammelte er.
„Resi, wo bist du?“ schnurrte er gleich darauf in dem hellen Singsang einer Katzensuch-Stimme.
Nele glaubte ihm kein Wort. „Sind Sie wahnsinnig? Mich so zu erschrecken? Sie sind verantwortlich, wenn meine Söhne keine Mutter mehr haben.“
Der Mann starrte sie wieder an. „Sie ist verloren gegangen. Ich muss sie suchen. Eine echte Siam-Katze. Wunderhübsch.“
War es die schwarze Lederjacke oder das runde Gesicht, mit den kurzgeschorenen Haaren oder die späte Stunde oder alles zusammen? Der Mann sah definitiv nicht aus, wie jemand, der Katzen suchte. Als ob er genau wusste, auf welchem Nerv er ihr Mitleid erhaschen würde.
Nein. Nicht mit ihr. Nicht mit Nele Dorfen. Sie war doch nicht blöd. Die blödeste Ausrede hatte er sich ausgesucht.
„Machen Sie, dass Sie wegkommen.“ Sie drehte sich um und spürte seinen bohrenden Blick im Rücken.
„Es ist wahr; ich habe eine Katze“, rief er ihr nach.

Nele verschloss die Tür und wartete im Dunkeln, ob er weiter nach seiner Katze rufen würde. Sie hörte Fußtritte und wieder das dumpfe Ploppen wie nach einem Sprung.
Er konnte ihr alles Mögliche erzählen, nur das nicht. War er ein Dieb? Sie hatte nichts. Bei dem Gedanken, dass dieses Nichts ihr auch noch genommen würde ... dass ein Fremder in ihren Sachen wühlte, um zu erkennen, dass ihr ganzer Besitz in dem Spielzeug der Jungs und in ihren Tanzsachen steckte, kribbelte es in ihren Adern. Wollte er Bücher über das Tanzen, über Choreografen, Kleider und vor allem Schuhe klauen? Ihr Vermögen lag im Schuhschrank.
Das war absurd. So ein Dieb wusste doch nicht, was Tanzschuhe kosteten. Sie besaß Schuhe in allen Farben und Stilrichtungen, jeweils mindestens ein Paar. Ihr Exfreund Heiner Bankert hatte ihr gesagt, fünfzig Prozent ihrer Schönheit läge in ihren Fesseln. „So ein Span“, schwärmte ein altmodischer Herrenschuhmacher in Paris und fertigte für sie nur deswegen goldene Tanzschuhe. Für Herrenschuhmacher der alten Schule, seien Damenschuhe ein „No-Go“, erklärte ihr Ex. Frauen könnten keine Wertarbeit schätzen, so oft würden sie neue, unbequeme Schuhe kaufen. Der Schuhmacher überreichte ihr die filigranen Sandaletten wie einen Pokal. Allein dieses Paar war ein Vermögen wert.
Der Mann brauchte ihr nichts vorzumachen.
Als die Schritte nicht mehr zu hören waren und sonst auch alles ruhig blieb, öffnete Nele die Terrassentür, nahm die lange Strickjacke, die daneben auf einem Sessel lag, schlüpfte in ihre Gummistiefel und zog die Tür so weit wie möglich hinter sich zu. Dann begann sie leise zu rufen. „Mimi, Motzo, kommt her!“
Es dauerte eine Stunde, bis ihre eigenen Katzen zurückgekehrt waren. Sie wollte sie um sich haben, vielleicht war der Mann ja auch so etwas wie ein Katzenfänger.
Sie beruhigte sich. Sie verschloss die Terrassentür und stellte den Sessel davor. Sie sah nach den Jungs, die nach wie vor selig schliefen, und legte sich selber wieder ins Bett.
Sie musste etwas ändern. Sie durfte die Tür nicht mehr offen lassen. Überhaupt, ihr ganzes Leben war ein Drahtseilakt. Sie rettete sich von einem Tag in den anderen, immer kurz vorm Abstürzen. So durfte es nicht weitergehen.

Die Autorin:

Die gelernte Gärtnerin Tine Sprandel arbeitet nach Zwischenstationen am Theater und im Gartenbau  als Autorin, Texterin und Webdesignerin. Sie wohnt mit ihrer Familie  im Münchner Süden. Für die Reihe „Quick, quick, slow – Tanzclub Lietzensee“ schreibt sie gerade an dem zweiten Roman. Außerdem ist sie für die Covergestaltung zuständig.
Mehr zu Tine Sprandel: www.asprandel.de