Sonntag, 30. Oktober 2016

Ein Traum in Hollywood North von Julie K.


 
Klappentext AUSSEN
Katja und Julie, Fans einer US-Serie, die in Vancouver, auch Hollywood North genannt, gedreht und produziert wird, haben sich in einem Serien-Forum kennen gelernt. Gemeinsam sind sie auf dem Weg nach Vancouver, in der Hoffnung, ihre Stars einmal aus der Nähe zu sehen. Eine zufällige Entdeckung in einem Baum, direkt neben dem Studiogelände, scheint Julies Leben komplett umzukrempeln. Wird sich Julies Traum erfüllen, oder wird es ein Traum bleiben? Ein spannendes Buch für junge Erwachsene, die noch träumen können und wollen
Besonderheit : Englische Dialoge
Liebesroman ab 14 +
Erhältlich als E-Book bei Amazon und Thalia und als Taschenbuch

Leseprobe
Auf der linken Straßenseite, ein paar Meter hinter dem Tor, entdecke ich einen Stoß Baumstämme, schön übereinander gestapelt und die einzige Sitzgelegenheit weit und breit. Lag der neulich schon hier? Auf der anderen Seite, zwischen all den parkenden Autos, bemerke ich direkt neben den Gleisen einen kleinen verschlossenen Trailer, der gestern definitiv noch nicht da stand. Ob dort Kostüme drin sind? Vielleicht all die roten T–Shirts oder die blauen Jacken von Cale?
Fast halb acht, stelle ich nach einem Blick auf mein Handy fest. Mich fröstelt es ein wenig. Mist, ich hätte eine wärmere Jacke anziehen sollen. Noch immer klopft mein Herz wie wild vor Nervosität. Die müssen doch bald mal Feierabend haben, oder?
Vorsichtig setze ich mich auf einen der Baumstämme, lasse meinen Fuß ungeduldig auf und ab wippen und kann nur hoffen, dass die darunterliegenden nicht ins Rollen geraten. Das wäre mit Sicherheit ein Höllenlärm und ziemlich unangenehm für mich.
Der Platz ist ideal, niemand kann mich auf Anhieb sehen, trotzdem müssen alle an mir vorbei, sollten sie da vorne auf dem Parkplatz, ein Stückchen weiter, geparkt haben. Falls nicht, so werde ich in jedem Fall mitbekommen, wenn durch diese einsame Straße irgendein Auto davon fährt.
Was werde ich tun, wenn er gleich an mir vorbeigeht? Ob ich vor Aufregung wie angewurzelt auf diesem Baumstamm hocken bleibe, ihm nur stumm hinterher starre? Was in Gottes Namen könnte ich sagen, sollte ich überhaupt den Mut haben, ihn anzusprechen?

Mit einem Mal höre ich Stimmen, die sich nähern. Es sind lachende Männerstimmen, die nicht mehr allzu weit entfernt scheinen. Ich kann nicht einmal einschätzen, wie viele es sind. Mein Herz klopft zum Zerspringen. Verdammt, was für eine aufregende Situation. Ich bedanke mich noch einmal ganz herzlich bei mir, für diese überaus bescheuerte Idee.
Da kommen sie, drei sind es. Sie scherzen miteinander, haben offensichtlich eine Menge Spaß. Ich mustere sie für den Bruchteil einer Sekunde unauffällig, senke dann schnell meinen Blick, um an meinem Schuh herum zu fummeln, als wäre dort etwas nicht in Ordnung. Es ist schon peinlich genug, sich alleine auf dieser unbelebten Straße herumzutreiben. Kann sich doch jeder denken, was ein einsames Mädel hier will, oder?
Endlich sind sie vorbei, ein Glück. Die drei Typen haben ihr Gespräch nicht einmal unterbrochen, haben mich einfach ignoriert. Beruhigt atme ich auf, und so etwas wie Erleichterung macht sich in mir breit. Bestimmt irgendwelche Mitarbeiter oder Komparsen. Ich habe sie gewiss niemals zuvor in einer der Cales Creek Episoden gesehen. Tatsächlich entspanne ich mich ein wenig, als sie in einen Combi einsteigen und davonfahren. Energisch stehe ich auf, irgendwie finde ich nicht mehr die nötige Ruhe zum Sitzen. Ausserdem sollte ich in Bewegung bleiben, um nicht noch mehr zu frieren.

Ende August, die Sonne verabschiedet sich nun eher, die Tage werden kürzer. Ich schlendere die Straße weiter geradeaus, bestimmt zum dritten Mal, seit ich in Vancouver bin. Eine merkwürdige Gegend, die mich an abgelegene heruntergekommene Industriegebiete in Deutschland erinnert. Auf der linken Straßenseite, etwa zweihundert Meter hinter dem Parkplatz endet die Straße mitten auf dem Vorplatz einer Firma. Eine Transport oder Logistik Firma, schätze ich. Jedenfalls läuft man geradewegs auf mehrere nebeneinander liegende Beladungsrampen zu, deren Rolltore verschlossen sind. Verwunderlicherweise steht das Haupttor sperrangelweit offen, sodass man problemlos hindurchspazieren kann.
Ich nehme an, dieses Tor ist mit Absicht offen, ansonsten hätten LKW's in dieser engen Straße mit dem Wenden so ihre Schwierigkeiten. Ob es sich um eine Sackgasse handelt, oder es eventuell hinter dieser Firma eine geheime Durchfahrt gibt, frage ich mich nicht zum ersten Mal. Suchend drehe ich mich um meine eigene Achse, kann aber nichts dergleichen auskundschaften.
Wie oft habe ich abends hier herumgelungert, in der Hoffnung ihn einmal zu sehen, doch bisher bin ich nicht dahinter gekommen, warum die Straße an dieser Stelle endet und es offenbar keine Ausfahrt gibt. Wäre in jedem Fall praktisch für genervte Schauspieler, die nach Hause wollen, ohne an geifernden Fans vorbeizumüssen. Das schlechte Gewissen nagt, aber mein Wille ist zu stark. Nebenbei bemerkt, bin ich in dieser verlassenen Gegend der einzige Fan weit und breit. Es gibt wohl nicht so viele Verrückte, die es bis hierher, nach Burnby, einem Stadtteil Vancouvers, direkt bis vor die Berfort Filmstudios schaffen.
Auf der gegenüberliegenden Seite der beiden Straßen, die nur durch die Bahngleise getrennt sind, wartet Katja im Auto auf mich. Von hier aus kann ich sogar das weiße Dach unseres Mietwagens erkennen. Ob ich zurückgehen soll? Irgendwie tut sich hier nichts und es ist bereits nach acht. Langsam wird es frisch und ziemlich dämmrig. Ich kann gleich sowieso nichts und niemanden mehr erkennen, jedenfalls nicht ohne Fackel oder Taschenlampe. Dummerweise habe ich weder das eine, noch das andere dabei.

Plötzlich entdecke ich auf dem Parkplatz, direkt vor der Lagerhalle dieser Logistikfirma, ein kleines Wiesenstück mit einem einzigen Baum mitten drauf. In der Baumkrone bewegte sich etwas helles, ich habe es genau gesehen. Schon denke ich nicht mehr ans Aufgeben und gehe zielstrebig auf den Baum zu. Einige Meter davor werde ich langsamer, ducke mich lauernd, denn ich will das Tierchen nicht erschrecken. Ich kann nicht genau erkennen was es ist, dazu ist es einfach schon zu finster in der Baumkrone. Ich sehe nur ein Stück weißes Fell, was ich schon ziemlich außergewöhnlich finde, für ein scheinbar wildes Tier.
Ich schleiche näher heran, sehe nach oben, versuche es zu locken, doch es rührt sich nicht. Mit einem Mal knallt in der Nähe laut krachend ein Tor zu, und wie vom Blitz getroffen springt das kleine Etwas vom Baum, rast blitzschnell über den Parkplatz, um sich unter eines der parkenden Autos zu kauern. Ich folge ihm, hocke mich neben den schicken, schwarzen Jeep, einem Chrysler Dodge Yukon, unter dem es verschwunden ist.
Vorsichtig luge ich unter das Auto. Es sitzt direkt hinter dem linken Vorderrad. Zwei ängstliche, funkelnde Augen starren mich an. Beruhigend rede ich auf das kleine Fellknäuel ein, doch es rührt sich nicht.
»Sorry…«, räuspert sich plötzlich jemand hinter mir, »…anything wrong with this car?« Noch in der Hocke, auf dem Boden kauernd, bemerke ich eine Gluthitze in mein Gesicht steigen. Diese Stimme kenne ich. Wie gut, dass es schon einigermaßen dunkel ist.
Behäbig und mit wild klopfendem Herzen richte ich mich auf, drehe mich starr vor Schreck und etwas steif in den Knien um. Ich habe seine Stimme sofort erkannt, was kein Wunder ist, wenn man jede Serienepisode geradzu inhaliert hat, noch dazu im Original, nur mit englischen Untertiteln. Mein Englischlehrer sagte einmal, dadurch lernt man Fremdsprachen am besten. Nun, hätte ich gewußt, dass die Gelegenheit es zu testen, schneller kommt als erwartet, hätte ich mich deutlich besser vorbereitet. 
Mein Magen fühlt sich an wie frisch durch einen Fleischwolf gedreht. Trotz meiner acht Zentimeter Absätze muss ich ein wenig nach oben sehen, um sein erstauntes und zudem ungeduldig dreinblickendes Gesicht erkennen zu können. Mir gelingt es kaum seine Augen zu fixieren, die ich selbst in dieser Dämmerung noch atemberaubend finde. Viel zu sehr bin ich damit beschäftigt, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen.
»Ehm, sorry, is this your car?«, frage ich kaum vernehmbar und lächle ihn scheu an. Er nickt bloß, starrt mich unumwunden an. Kann es wirklich wahr sein, dass sich dieses kleine Viech ausgerechnet seinen Wagen aussuchen musste, um darunter zu verschwinden? Er mich zu allem Überfluss ertappt, während ich daneben hocke? Verlegen senke ich meinen Blick.
»Oh, don't worry – your car is okay, but – there's something hiding beneath it«, stammle ich, und finde sowohl mein Englisch, wie auch meine Stimme fürchterlich.
»Something…?«, wiederholt er in eigenartig sarkastischem Tonfall, gerade so, als ob er mir nicht glauben würde.
Ich halte mich für eine überaus ehrliche und direkte Person, worauf ich sehr stolz bin. Nichts auf der Welt verabscheue ich mehr als Lügerei, weswegen ich leicht zur Furie werde, wenn man mir nicht glauben will. Und es ist offensichtlich, dass er mir nicht glaubt.
»An animal, yes! I saw it fleeing under your car. Obviously, the loud noise just a few seconds ago scared it«, gebe ich ihm etwas störrisch zu verstehen. Er blickt mich derweil absolut unbeeindruckt an, stumm, als überlege er, was er mit mir anstellen soll. Sein Blick macht mich noch nervöser, als ich es ohnehin bin, weswegen ich hastig weiter rede.
»Actually, it was sitting here still, right behind the left front wheel, just a second before you came.« Ich bin zu übersprudelnd, viel zu hitzig und hasse mich in diesem Moment dafür. John nickt und lächelt belustigt, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.
»An animal, really…«, wiederholt er skeptisch, »…okay now, what kind of creature are we talking about? Maybe a fox, a bear, or was it even – a werewolf?« Er grinst mich herausfordernd an, aber ich kann über seinen derben Humor gerade gar nicht lachen. Dazu bin ich viel zu aufgeregt.
»No, a rather smaller one. I wasn't able to recognize exactly what kind of animal it was. It's too dark. And it was very quick. Maybe a cat? Anyway, what I saw was a flash of white fur.« Vielsagend grinse ich ihn an, und bemerke überraschenderweise eine eigenartige Ruhe in mir, die mich etwas forscher auftreten lässt. Mit einem Mal verändert sich seine Mimik. Sein Blick wirkt düster und mißtrauisch.
»Just tell me – what are you doing in this secluded area? Looking for alley cats?«, fragt er geradeheraus, runzelt dabei seine Stirn und sieht sich mit einer ausladenden Handbewegung auf dem Parkplatz um. Ich schlucke bestürzt und sende ein Stoßgebet zum Vater aller Eingebungen, er möge mir schnell eine der glaubwürdigsten herunterschicken. Zögernd zeichne ich mit meinem Fuß imaginäre Kreise in den Kies.
»I was here for – ehm – just for a little walk, you know. And then there was the animal, sat in the treetop right over there. Then came the loud 'bang!' which frightened it. It ran right under your car at hyperspeed. That's all – really.« Ich versuche möglichst unschuldig dreinzublicken, doch er grinst mich argwöhnisch an.
»Just a little walk – in this boondocks, huh?« Er klimpert ungeduldig mit dem Autoschlüssel in seiner Hand. Er hat Recht. Die Umgebung ist nicht gerade eins der schönsten Fleckchen in Vancouver.
»I don't believe you…«, sagt er ziemlich direkt, dreht sich auf dem Absatz um und geht einen Schritt auf die Fahrertür seines Wagens zu.
»Please wait. You might injure it – this animal, I mean. Let me tell you the truth – please«, flehe ich, denn ich will unbedingt vermeiden, dass er dem armen Tier womöglich etwas antut, falls es noch immer ängstlich unter seinem Wagen kauert. John dreht sich langsam zu mir um.
»Okay, then proceed – but quick. I'm in a rush«, sagt er in leicht ironischem Tonfall und grinst selbstzufrieden.



Ute Köhler erblickte 1966 das Licht der Welt, wuchs in Düsseldorf auf, zog nach Neuss um, und landete letztlich in Dormagen, wo sie mit ihrem Mann, drei Söhnen und einer Katze in einem kleinen Vorort, zwischen den Großstädten Köln und Düsseldorf, lebt.
Neben dem Schreiben, was sie am meisten interessiert, arbeitet sie als Chemisch-technische Assistentin an der Uni Düsseldorf, und zumeist in den Abendstunden als Yoga & Pilates Trainerin, weswegen das Schreiben zu ihrem Leidwesen oft zu kurz kommt.  
Der BROT-JOB muss leider sein.

Ute Köhler verfasst unter dem Pseudonym Jutie Getzler (ein Kunstname, zusammengesetzt aus Name und Mädchenname) zumeist Liebesgeschichten für junge Erwachsene. Aber auch Krimikomödien und Kinderbücher sind in Planung.

Ihr Debutroman *10 Tage in Vancouver* erschien im Juli 2016 im Bookshouse Verlag. Dem vorangegangen publizierte sie in Eigenregie den Kurzroman *Ein Traum in Hollywood North*,  der mit seinen englischen Dialogen einzigartig ist.

Ihr Traum: Einen Bestseller landen und nach Curacao auswandern. 


Facebook: https://www.facebook.com/profile.php?id=100010354729202 

Sonntag, 23. Oktober 2016

Das Spiel des Lebens von Anna Musewald




Um Stefan zu retten, müssen Andreas, Kim, Harry und Thomas am Spiel des Lebens teilnehmen. Dieses Spiel ist jedoch Realität. Die Freunde wissen noch nicht, dass sie am Ende um ihr Leben spielen.
Erhältlich bei Amazon als E-Book und als Taschenbuch.

Leseprobe:

Der Junge öffnete langsam seine Augen, seine Lider waren schwer. Sein leerer trüber Blick schweifte zaghaft und gleichgültig durch den Raum. Er war alleine in einem Raum, der spärlich möbliert war: zwei eiserne Einzelbetten, zwei kleine Nachtschränkchen in denselben Farbmustern wie einige hölzerne Stühle, die nebeneinander auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes aufgestellt waren.
Er versuchte sich zu bewegen, doch das fiel ihm schwer. Sein Körper fühle sich erschöpft und kraftlos an, wie nach einem unruhigen Schlaf voller Alpträume. Langsam richtete er sich auf und stützte seinen Rücken mit dem Kopfkissen. Er seufzte so tief, als würde er versuchen, die ihm fehlende Kraft einzuatmen. Wo zum Kuckuck hatte er geschlafen, fragte er sich. Das war sicher nicht sein Bett, denn sein Bett war... es war ...
Dann bemerkte er die medizinischen Geräte, die wie schwere weiße Wolken über ihm schwebten. Seine Augen wurden groß vor Verwirrung. Ein Schauer lief ihm den Rücken hinunter, als er erkannte, dass er sich im Bett eines Krankenhauses befand. Sein Blick wurde wieder ängstlich und düster, seine Schläfen schmerzten vor Angst.
In seinem Kopf kreisten viele Fragen, die jedoch unbeantwortet blieben. Die wenigen Möbel, die ihn umgaben, standen leblos und apathisch da. Nur der übliche Duft von Medikamenten und Desinfektionsmittel, der sich unter dem Türspalt der geschlossenen Tür in das Zimmer schlich und schleichend in seine Nase drang, schien ein Indiz zu sein, dass es sich hierbei um ein Krankenzimmer handelte.
„Was ist passiert? Warum bin ich hier?“, fragte er sich, ohne einen Ton von sich geben zu können.
 Er versuchte sich an irgendetwas zu erinnern, was ihm helfen würde, zu verstehen, doch seine schweigende Erinnerung schien noch tief und fest zu schlafen. Frustriert von ihrer Untätigkeit richtete er seine letzte Hoffnung auf sein Hörvermögen. Er hoffte darauf, verschiedene Geräusche aufzuspüren, die zur Beantwortung seiner ungeklärten Fragen führen würden. Doch auch sein Gehör scheiterte an der absoluten Stille, die im Zimmer herrschte.
Eine lange Zeit bewegte sich der Junge nicht, als würde er mit sich kämpfen, eine Entscheidung zu treffen. Plötzlich funkelten seine Augen und er befeuchtete seine trockenen Lippen mit seiner spitzen Zunge.
Stefan“, murmelte er. Es war so, als hätte die Feuchtigkeit seinen Lippen die nötige Kraft verliehen. „Stefan! Ist das vielleicht mein Name?“, überlegte er, und zum ersten Mal erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht.
Voller Motivation wartete er darauf, dass seine Lippen weitere Informationen oder Hinweise aussprachen. Er befeuchtete sie erneut, um ihnen wieder die nötige Kraft zu verleihen. Es passierte jedoch nichts. Dann biss er sich auf seine Lippen, aber das war wieder kein Erfolg. Sie blieben hermetisch verschlossen.
Sein schläfriges Gehirn störte ihn genauso wie die Tatsache, dass er nichts unternehmen konnte. Als ihm bewusst wurde, dass er sich im Krankenhaus befand, spürte er einen Stich in seinem Herzen. Es war nicht der Gedächtnisverlust, der ihn beängstigte, sondern die Angst davor, was ihm bevorstand, wenn sein Gedächtnis wiederkommen würde. Deshalb beschloss er, selber herauszufinden, was geschehen war.
Er stand auf, um so schnell wie möglich dieses angsteinflößende, stille Zimmer zu verlassen. Sein hoher, schlanker Körper stand blitzschnell fast von alleine, was ihn überraschte. Obwohl er sich noch hilflos und schwach fühlte, war sein Körper so leicht und schwerelos wie eine Feder, die frei in der Luft schwebte. Sein Kopf fühlte sich wie ein Ameisenhaufen an. So, als würden tausende verwirrte Ameisen ihren eigenen Weg in den Kanälen suchen.
Er schaute sich verwirrt die Sachen an, die er trug. Gehörten etwa dieses hippe T-Shirt und diese eng anliegende blaue Jeans ihm? Warum hatte man ihm erlaubt, die Kleidung im Krankenbett anzubehalten? Er fand dies äußerst merkwürdig, aber das würde ihn nicht davon abhalten, das Zimmer zu verlassen. Er machte ein paar hüpfende, fast tanzende Schritte und genoss die Leichtigkeit seines eigenen Körpers, bis sein Blick auf das Krankenbett fiel, wo er eben gelegen hatte.
Er erstarrte. Seine Augen waren weit geöffnet und richteten sich auf sein Krankenbett und den abscheulichen Anblick des blassen dort liegenden Körpers. Der Körper trug genau dieselbe Kleidung, die er selbst gerade trug. Wer war dieser schmale, blasse junge Mann, der dort lag und sich nicht bewegte? Die Verwunderung über dieses merkwürde Bild, das er jetzt vor Augen hatte, war groß; Die Angst, die sein Herz füllte, war noch größer und die Verwirrung in seinem Kopf war unbeschreiblich.
Auf der anderen Seite des Zimmers hing an der weißen Wand ein kleiner Spiegel. Dorthin lief er schnell und betrachtete sich in der glatten Oberfläche.
Schauer liefen über seinen Rücken, die Übelkeit und Schwindel verursachten. Er stand einige Zeit vor dem Spiegel und betrachtete sich wortlos. Sein Spiegelbild, das ihn jetzt ängstlich anschaute, war identisch mit dem des Jungen, der steif auf dem Krankenbett lag. Dieselben schwarzen glatten Haare, dieselben dichten Augenbrauen, dieselbe Blässe auf dem ovalen, schmalen Gesicht.
„Bin ich das? Wie kann es sein, dass ich hier stehe und gleichzeitig auf dem Bett dort liege?“, murmelte er erschrocken.
Er versuchte die traurigen, Angst einflößenden Gefühle, welche ihn zu überwältigen drohten,, wegzudrängen. Er schaute immer noch abwechselnd sein Spiegelbild und den starren Körper des Jungen an.
Was man nicht sehen kann, existiert nicht. Es existiert nicht! Nicht hinschauen. Schließ einfach deine Augen“, redete er sich selbst ein. Doch obwohl er seine Augen geschlossen hatte, verschwand seine Angst nicht.



Anna Musewald

Anna Musewald wurde in Griechenland geboren. Dort wuchs sie auf und absolvierte ein Wirtschaftsstudium in der Panteio-Universität in Athen. Mittlerweile lebt sie seit 1998 zusammen mit ihrer Familie in Deutschland. Ihr Beruf ist Buchhalterin, doch ihre Berufung ist, das Eintauchen in die geschaffene Fantasiewelt der Bücher.
Autorenpage: fb.me/a.musewald